Das Muster der Liebe (German Edition)
gesegnet ist mit so schönen und talentierten Enkelkindern.”
“Amelia ist das unglaublichste Baby im ganzen Universum”, beharrte Jacqueline. Tammie Lee lachte leise, und Jacqueline bestand darauf, dass sie keinen Scherz machte. Ihre Enkeltochter musste ein besonderes Kind sein, wenn sie es so leicht schaffte, vier vernünftige Erwachsene um den kleinen Finger zu wickeln. Diesem Mädchen einen Wunsch abzuschlagen war nicht möglich.
Tammie Lee setzte sich ans Ende des Bettes. “Sie ist bestimmt zwanzig Stunden am Tag auf dem Arm von irgendjemandem.”
Jacqueline lächelte. Amelia schlief zufrieden. Im Schlaf verzog sie ihren winzigen Mund, als würde sie nuckeln.
“Sogar Reese will sie andauernd halten.”
“Er war hier?”
“Beinahe jeden Tag – und er bringt ihr immer ein Geschenk mit. Es ist so süß, wie ihr beiden die Kleine verwöhnt. Dabei ist sie erst eine Woche alt.”
Jacqueline presste die Lippen aufeinander. Sie hatte nicht gewusst, dass Reese auch jeden Tag vorbeikam. Aber sie wusste ohnehin kaum etwas darüber, wie er seine Zeit verbrachte. Sie entschied sich, nicht länger darüber nachzudenken und warf einen Blick auf ihre Uhr. Halb sechs. Paul würde jeden Moment von der Arbeit nach Hause kommen. Zeit für sie zu gehen.
“Ich sollte nach Hause fahren”, sagte sie, und man konnte den Widerwillen in ihrer Stimme erkennen. Das Haus war ihr nie verlassener vorgekommen als in den letzten Wochen. Nie zuvor hatte sie sich so einsam gefühlt. Seit dem Abend, als Reese sie so überstürzt mit der Begründung verließ, er habe einen geschäftlichen Termin, ging es ihr so. Dabei wusste sie genau, was er wirklich vorhatte … Sie wollte sich ihren Mann mit der anderen Frau nicht vorstellen.
“Ist Reese genauso wie sein Sohn? Will er sein Abendessen auch exakt eine Stunde, nachdem er nach Hause gekommen ist?”
Tammie Lee stellte die Frage ganz unbedarft, ohne Hintergedanken. Jacqueline hätte auf dieselbe Art antworten können, doch in diesem Augenblick – mit ihrer Enkeltochter in den Armen – war ihr nicht danach, länger eine Fassade aufrechtzuerhalten. So lange hatte sie mit der Lüge gelebt, dass es fast schon normal war. Aber nun erkannte sie, dass sie das nicht länger wollte. Mit diesem Kind in den Armen schien nichts außer der Wahrheit angemessen.
“Reese kommt dienstagnachts nicht nach Hause”, sagte sie knapp.
“Oh, das wusste ich nicht. Geht er zum Bowling?”
Ein Lächeln huschte über Jacquelines Gesicht. Nur ihrer Schwiegertochter konnte es in den Sinn kommen, dass Reese Mitglied in einem Bowlingteam sein könnte. Sie schüttelte den Kopf.
“Mom?”
Lange Zeit war es ihr gegen den Strich gegangen, dass Tammie Lee sie einfach so “Mom” nannte. Doch inzwischen fühlte es sich an, als sei es das Natürlichste der Welt.
“Er … hat eine andere Verpflichtung”, sagte sie.
Tammie Lee schwieg eine ganze Weile. Dann tat sie auf einmal etwas völlig Unerwartetes. Sie setzte sich auf den Boden neben den Schaukelstuhl, in dem Jacqueline saß, und legte ihrer Schwiegermutter die Hand aufs Knie. Diese Geste war einfach und tat gut. Und sie berührte Jacqueline zutiefst.
“Habe ich dir je von meinem Onkel Bubba und meiner Tante Frieda erzählt?” Sie wartete Jacquelines Antwort nicht ab. “Es schien, als habe Bubba – das ist im Übrigen nicht sein richtiger Name, denn er heißt eigentlich Othello, aber jeder nennt ihn Bubba, eine Südstaatengeschichte … Egal … Also, er verguckte sich in eine Kellnerin im
Eat, Gas & Go
in der Pecan Avenue. Jeden Tag hing er in dem Laden herum.”
Sechs Monate zuvor hätte Jacqueline ihre Schwiegertochter wahrscheinlich ungeduldig unterbrochen. Aber nachdem sie einige von Tammie Lees Geschichten gehört hatte, war sie inzwischen an die Weisheiten gewöhnt, die ihre Schwiegertochter auf diesem Weg der Welt mitteilte.
“Also, Tante Frieda bekam mit, was vor sich ging, und hat die schlimmste Szene veranstaltet, die du dir vorstellen kannst.”
“Ist sie auf die Kellnerin losgegangen?”
“Tante Frieda? Nein. Sie hat meinem Onkel Bubba die Leviten gelesen. Sie hat ihm gesagt, sie sei die
einzige
Frau für ihn – und wenn er ihr nicht glaube, würde sie es ihm schon beweisen. Sie sagte meiner Mama, sie hätte Bubba schließlich geheiratet und – zum Donnerwetter noch mal – würde nicht zulassen, dass irgendeine Kellnerin ihn ihr wegschnappte. Von da an lief Onkel Bubba nur noch mit einem breiten Grinsen durch die Stadt.
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