Das Musterbuch (German Edition)
energische Antlitz Andreas verfinsterte sich.
"Andrea, schau einmal hierher" unterbrach ihn Gentile bei seiner eingehenden Betrachtung. "An wen erinnert dich diese Kreuzigung?" Gentile ahnte nicht, dass all diese Werke Giambellinos Verachtung und Verabscheuung bei ihm auslösten. "Dein Bruder ist ein Eklektizist!" entgegnete Andrea scharf. "Nein", korrigierte ihn Jacopo, "Giovanni nimmt aus allem das Beste und verwandelt es in Lyrisches! Das muss man ihm erst einmal nachmachen!" Andrea überhörte absichtlich den indirekten Vorwurf in der Stimme seines Freundes Jacopo. "Gehen wir einen Trinken - auf meine Kosten, denn ich habe mit euch den letzten Akt meines Dramas von Padua zu feiern, und danach hole ich meine liebe Frau zu mir, vielleicht gehen wird dann bald schon nach Mantua?".
Andreas Voraussage sollte sich bewahrheiten. Schon bald erhielt er den Ruf als Hofmaler von Mantua beim bedeutenden Markgrafen Ludovico Gonzaga.
Kapitel VIII
Giovanni sass an seiner Staffelei als er ein Pochen an der Tür vernahm. Wer konnte ihn hier schon aufsuchen? Die Tür knarrte beim Öffnen, aber das kannte Giambellino schon, aber welch ein Duft kam mit dem Luftzug in den Raum?
Sie war es, leibhaftig! "Darf ich näher treten?" Elena ging direkt auf den verdutzten Maler zu und betrachtete das Bild auf seiner Staffelei. "Schön, aber etwas fehlt noch..." ..."ja, Maestro, man sieht, dass Sie noch nie verliebt waren!" Elena hatte wieder ihren scherzhaften Ton gefunden, mit dem sie den jungen Maler schon vor der San Geremia-Kirche nahezu kränkte.
"Madame, ich habe viele Aufträge derzeit und bin sehr beschäftigt. Womit kann ich Ihnen dienen?" Diese aus Ärger absichtliche Anspielung auf die verhassten Franzosen kümmerte sie nicht. Elena fuhr direkt heraus weiter fort: "So weit ich mich erinnern kann, haben Sie selbst mich in ihr Atelier gebeten, um Ihnen Modell zu stehen. Aber ich könnte auch Ihren Bruder fragen....". "Nein, nein", Giovanni bangte schon um einen schönen und gut bezahlten Auftrag aus dem Hause Loredan und zog schnell einen Stuhl heran. Dass er ein wenig nervös war, weil die ihm den Schlaf raubende schöne Elena endlich zum Greifen nah vor ihm sass, zeigte nur der zittrige Kreidestrich auf dem Blatt Papier.
"Erzählen Sie mir von sich, damit ich ein möglichst wahrheitsgetreues Konterfei fertigen kann. Ich muss doch ein stummes Bild zum Sprechen bringen...“ Giovanni suchte einen Vorwand, um die von ihm vergötterte Frau näher kennenzulernen.
"Elena Loredan, Alter 17, Sternzeichen Fisch, von Natur aus redselig und sehr empfindlich, wenn mir jemand zu nahe kommt". Elena hatte bereits Erfahrung mit diversen Verehrern, die ins Hause Loredan strömten, um ihr den Hof zu machen. Bisher waren all' diese Einfallspinsel für sie nicht mehr als Marionetten im Dienste der Serenissima gewesen.
"Nicht so schnell, liebes Fräulein, sonst verzieht sich Ihr Mund auf meinem Blatt Papier in eine karikaturhafte mascone !" Das Madonnenbild auf der Staffelei hatte Giovanni derweil zudeckt, denn nun, wo der Vorwurf einer Lieblosigkeit im Raume stand, mochte er das Werk nicht mehr vollenden. Vielleicht würde diese neue Aufgabe, ein Porträt zu fertigen, seine Inspiration zur Darstellung der Gottesmutter neu beflügeln?
Giovanni zweifelte daran, dass Elena ihren Vater über den Besuch im Atelier des noch unbedeutenden Künstlers, wenn auch Sohn des berühmten Jacopo Bellini, informiert hatte. Die Zeit schien stehen zu bleiben; Elena sass bestimmt schon zwei Stunden ihm gegenüber und plapperte unentwegt über banale Kindheitsgeschichten, über ihre strenge Erziehung im Kloster, über ihr trauriges Schicksal, vom frühen Tod ihrer Mutter bei ihrer Geburt, und von ihrem dominanten Bruder Leonardo.
Elena war sehr viel reifer und ernster, als sie auf den ersten Blick den Anschein gab. Hinter ihre Maske sollte Giovanni im Laufe der nächsten Jahre noch genauer blicken können...
"Für heute ist's genug", der Maler schloss sein Skizzenbuch zu, gestattete ihr jedoch keinen Blick hinein. Nein, erst wenn das Bild fertig ist! Giovanni musste sein Modell vertrösten und wollte sie gleichzeitig ködern mit einer nächsten Sitzung, morgen um dieselbe Zeit.
"Wenn Sie von Sternzeichen Fische sind, dann müssen Sie doch bald Geburtstag haben, junge Dame?" begann Giovanni zu rechnen. "Ja heute!" Sie ahnte ja gar nicht, was sie ihm für eine Freude bereitete, ihm Stunden ihres Festtages geschenkt zu haben. "Meinen herzlichsten
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