Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
Am nächsten Morgen machte sich die Gruppe wieder auf den
Weg. Den Rest der Reise konnten sie bequem in einer Woche schaffen. Conrad ritt
neben Constance, die sich im Gegensatz zu Anna und Bella nur selten im Wagen
aufhielt. Ihr war es lieber zu reiten, während Line wie die unberittenen
Waffenknechte oft zu Fuß ging, um sich die Beine zu vertreten. Sie war es
gewöhnt, größere Strecken zu laufen.
Es war neblig, ab und zu fiel ein leichter Nieselregen vom
grauen Himmel, der den Boden aufweichte und ihn langsam in Matsch verwandelte,
der das Vorwärtskommen erschwerte.
Conrad betrachtete seine Schwester aus den Augenwinkeln.
Ihre Stimmung schien fast so trübe wie das Wetter zu sein. Je näher sie ihrem
Ziel kamen, desto schweigsamer wurde sie. Müsste sie sich nicht eigentlich
freuen, ihren Ehemann nach den Monden der Trennung wieder zu sehen?
Das bestätigte seinen Verdacht, sie wäre nicht besonders
glücklich mit diesem Arnulf von Nienkerken. Er würde sich den Burschen genau
ansehen und wenn nötig auch ein ernstes Wörtchen mit ihm reden.
„Freust du dich auf zu Hause?“, fragte er schließlich
direkt.
„Zu Hause“, sagte Constance gedehnt, „zu Hause werde ich
nicht bleiben können, jetzt, wo du wieder da bist. Ich werde mit meinem Ehemann
nach Nienkerken gehen.“
Das war es also, was sie bedrückte. Sie grämte sich, weil
sie jetzt das väterliche Rittergut endgültig verlassen musste. Dieses Schicksal
teilte sie mit allen Mädchen, die verheiratet wurden. Bisher war es ihr nur
erspart geblieben, weil das Gut verwaist war, nachdem ihr Vater es nicht mehr
verwalten konnte und ihr Bruder für tot gehalten wurde.
„Bist du schon einmal dort gewesen?“, fragte er.
„Ja. Zur Hochzeit. Arnulf sagt, es wäre ein wenig
runtergekommen . Deshalb ist er auch auf unser Gut gekommen, um mit mir dort
zu leben. Außerdem kann er sein Erbe noch nicht antreten, solange sein Vater
noch lebt. Der Alte ist mir unheimlich, Conrad.“
„Unheimlich?“
„Er hat so etwas Verschlagenes an sich, ich kann es nicht
genau benennen. Dabei habe ich keinen Grund, mich zu beklagen. Er ist immer
höflich zu mir, wenn wir uns sehen. Vielleicht irre ich mich aber auch, es ist
nur so ein ungutes Gefühl, das ich immer spüre, wenn er in meiner Nähe ist.“
„Hm, weibliche Intuition?“
„Nenn es ruhig so. Jedenfalls ist mir nicht wohl bei dem
Gedanken, zukünftig mit ihm unter einem Dach leben zu müssen, zumal er der Herr
im Hause ist.“
„Ist er verheiratet?“
„Nein. Arnulfs Mutter starb bei der Geburt seines jüngeren
Bruders vor zwanzig Jahren. Der Alte hat wieder geheiratet, aber auch seine zweite
Frau starb im Kindbett, zusammen mit ihrem Erstgeborenen. Seitdem lebt Arnulfs
Vater allein. Arnulfs Bruder ist in ein Kloster gegangen, um Priester zu
werden.“
Es war nicht ungewöhnlich, dass eine Frau bei der Geburt
starb. Auch Conrad und Constances Mutter war im Kindbett gestorben. Sie hatten
sie nie kennen gelernt. Ihr Vater muss sie sehr geliebt haben, denn er hat nie
wieder geheiratet.
Conrad hätte seiner Schwester so sehr einen Mann gewünscht, der
sie auf Händen trägt und dem sie ihre Liebe schenken könnte, auch wenn das in
ihren Kreisen romantisches Wunschdenken war. Aber zumindest sollte ihr Ehemann
sie ehren und achten.
Hochzeiten wurden unter den Vätern der Brautleute
abgesprochen, oft auch ohne diese in die Entscheidung einzubeziehen. Von seinem
Vater hätte er allerdings erwartet, zumindest die Einwilligung seiner einzigen
Tochter einzuholen und nicht über ihren Kopf hinweg zu entscheiden. Das passte
nicht zu ihm. Aber wie auch immer. Vater hätte niemals zugestimmt, wenn er den
Bräutigam nicht für einen ehrenhaften, würdigen Schwiegersohn hielt.
„Dann ist er also nicht gerade der Ritter aus deinen
Träumen?“, fragte er und sah seine Schwester prüfend an.
„Kinderträume, Conrad. Die Wirklichkeit sieht anders aus –
jedenfalls meistens.“
„Aber nicht immer“, widersprach Conrad, „denk an unsere
Familiensaga. Unser Urgroßvater…“
„Du warst schon immer hoffnungslos romantisch“, Constance
lachte ihn aus, „dabei wäre das doch eher mein Paart – als Frau.“
„Darf man als Mann nicht romantisch sein?“, fragte Conrad
halb im Scherz.
„Nur wenn man darüber den Sinn für die Realität nicht
verliert“, entgegnete sie ernst.
In diesem Moment hörten sie von
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