Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
der
Tuchhändler scheinbar interessiert.
„Ja, mit Kräutern, die Krankheiten lindern“, erwiderte sie.
Nach einer kleinen Pause setzte sie mit Bedacht hinzu: „aber ebenso auch mit
solchen, die die verschiedensten Leiden hervorrufen können; Magendrücken,
Darmbeschwerden, Koliken…“
Unwillkürlich wich der Tuchhändler einen Schritt zurück. Er hatte
die Warnung verstanden. „Pass auf, was du sagst, womöglich bist du eine
Zauberin, eine Hexe“, zischte er.
Eiskalt lief es Line den Rücken herunter. Wenn ein ehrbarer
Stadtbürger wie der Tuchhändler eine rechtlose Magd bezichtigte, eine Hexe zu
sein, konnte das sehr gefährlich für sie werden.
Auch wenn die Kirche Hexerei als Aberglaube abtat, war die
Angst vor Zauberei und schwarzer Magie in der Bevölkerung tief verwurzelt.
Religiöse Eiferer, allen voran die Dominikaner, nutzten die
Furcht und Unwissenheit der Menschen aus und bezichtigten angebliche Hexen und
Zauberer nicht selten, mit dämonischen Mächten zu paktieren.
Als Line sich umdrehte, war der Tuchhändler verschwunden.
Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte. In den nächsten Tagen war es,
als würde der Hausherr ihr aus dem Weg gehen. Aber das war ihr nur recht.
Fast hatte sich das Leben im Hause des Tuchhändlers wieder
normalisiert, als eines Morgens ein schreckliches Ereignis Lines Leben wieder
einmal aus den Fugen geraten ließ und eine völlig neue Wendung gab.
Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das kleine Fenster
ihrer zugigen Kammer und Line hatte sich gerade gewaschen und ihr schmuckloses
Kleid übergestreift. Sie setzte ihre Haube auf und ging zur Tür, um in der
Küche das Frühstück für den Tuchhändler und seine Gattin zu bereiten.
Line schob den Riegel ihrer Kammer zurück, die sie immer von
innen verschloss und trat auf den schmalen Flur des Dachgeschosses hinaus. Sie
ging auf die steile Treppe zu, die in die unteren Stockwerke führte, als sie
plötzlich stutzte.
Aus der Kammer neben ihr waren gedämpfte Laute zu hören, die
ihr sehr merkwürdig vorkamen. Das war Maras Kammer.
„Nein!“, hörte Line das Mädchen ängstlich rufen, „bitte
nicht!“
Was ging dort vor?
Mit zwei Schritten war Line an der Tür und stieß sie auf.
Was sie sah, ließ sie erstarren. Der Tuchhändler lag auf Mara und nestelte an
seinem Hosenbund herum. Er war so beschäftigt, dass er Line nicht bemerkte.
„So, meine Kleine“, murmelte er halblaut und etwas heiser,
während sein lüsterner Blick über den schmalen Körper der jungen Magd glitt,
„jetzt sind wir ganz allein. Wenn du schön brav bist, werde ich dir nicht
wehtun.“
Jetzt schaute Mara zur Tür und Line fing einen
hilfesuchenden Blick auf. Sie erwachte aus ihrer Starre und griff in die Falten
ihres Kleides, wo sie stets das kleine Kräutermesser aufbewahrte.
„Bitte, Herr“, wimmerte Mara, „lasst mich gehen. Niemand
wird davon erfahren.“
„Allerdings wird Niemand davon erfahren“, zischte der dürre
Kerl über ihr. „Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen verrätst, werde ich dich
wegen Verleumdung anzeigen und schwören, dass du mich bestohlen hast. Was
meinst du wohl, wem man glauben wird, einem angesehenen Bürger oder einer
kleinen Magd?“
„Zwei Mägden wird man glauben“, sagte Line laut und streckte
dem herumfahrenden Tuchhändler ihr Messer entgegen.
Hubert Schindel starrte sie entgeistert an. Dann begann er
zu lachen, ließ von der kleinen Magd ab und ging auf Line zu. Breitbeinig baute
er sich vor ihr auf.
„Also gut, wenn du es so haben willst, dann lasse ich die kleine
Metze in Ruhe und nehme mit dir Vorlieb.
„Keinen Schritt weiter“, zischte Line und funkelte ihn an.
Der Tuchhändler war einen Moment unschlüssig und starrte auf das kleine,
scharfe Messer. Aber dann lachte er wieder rau.
„Und was willst du jetzt tun? Mich abstechen?“
„Nur wenn es sein muss“, entgegnete Line ruhig. Ihre Augen
sprühten Funken.
„Dumme Weiber“, murmelte der Tuchhändler, „verstehen keinen
Spaß.“ Er zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern und ging auf die Tür
zu.
Line wollte schon aufatmen, aber als er neben ihr war, griff
er blitzschnell zu und packte sie am Handgelenk.
Dann drückte er sie an die Wand und griff ihr an den Hals.
„Du hast deinen Herrn angegriffen“, sagte er gefährlich leise, während ihr langsam
die Sinne schwanden.
Line erinnerte sich daran, dass Conrad ihr einmal gesagt hatte,
wenn sie jemand angreift, soll sie nicht sinnlos um sich
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