Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
zu lassen, weil sie
nicht darauf reagierte. Einige von ihnen hatten sich vorsichtshalber gar nicht
an den groben Späßen beteiligt und wagten es kaum, ihr in die Augen zu sehen,
weil sie die Rache der vermeintlichen Hexe fürchteten.
Vielleicht war Conrad in diesem Moment in ihrer Nähe und
beobachtete ihre Bewacher, dachte Line und musterte heimlich die Umgebung. Aber
außer den Büschen und Bäumen, deren Blätter leise im Wind raschelten, war
nichts zu hören oder zu sehen.
Die Rast dauerte nicht lange. Bruno ging auf Line zu, hob
sie spielend leicht hoch und wuchtete sie sich wie einen Sack Mehl über die
Schultern, um sie sich wieder vor den Sattel zu legen. Line biss die Zähne
zusammen, als ihre Schulter wieder schmerzte, aber sie gab keinen Laut von
sich. Diesmal hielt man es nicht für nötig, sie wieder zu knebeln.
Da der Morgen bereits dämmerte, konnten sie jetzt auf die
Fackeln verzichten und kamen schneller voran.
Am Mittag gab es noch einmal eine kurze Rast. Line spürte
ihre Beine nicht mehr und in ihrem Kopf war ein dumpfes Dröhnen. Jeder Atemzug
tat weg. Sie glaubte, keine weitere Stunde mehr in ihrer unbequemen Lage
durchhalten zu können. Ungeachtet ihrer Pein warf sie der vierschrötige Kerl
auch nach dieser Rast wieder bäuchlings vor sich auf sein Pferd. Dann ging es
weiter.
Als der Reiterzug endlich anhielt, war Line kaum noch bei
Bewusstsein. Das Atmen war zu einer Qual geworden und als Bruno sie auf ihre
Beine stellen wollte, sackte sie einfach in sich zusammen wie ein nasser Sack.
Kurzerhand warf Bruno sich das Mädchen wieder über die Schulter
und trug sie in das alte Forsthaus. Er öffnete einen Verschlag und legte sie
unsanft auf dem mit Stroh bedeckten Boden ab.
Es war ein paar Wochen her, seit sie ihren letzten
unfreiwilligen Gast hier gefangen hielten. Wie immer hatte Bruno danach den
Verschlag gesäubert und frisches Stroh ausgestreut. Sein Herr bestand darauf,
dass seine Opfer sauber gehalten wurden und ausreichend Nahrung bekamen. Es
reizte ihn nicht, halb tote Mädchen zu quälen, die bereits apathisch waren und
gar nicht mehr mitbekamen, was mit ihnen geschah. Deshalb achtete er auch stets
darauf, es mit der Folterung nicht zu übertreiben.
Hierfür war Bruno genau der richtige Mann und er war stolz
darauf, sich seinem Herrn auf diese Weise unentbehrlich gemacht zu haben. Nur
selten passierte es ihm, dass ein Opfer unter seinen Händen vorzeitig verstarb.
Einmal war ein Mädchen vor Schmerz und Schreck gestorben, bevor er seine Kunst
richtig entfalten konnte. Sie war beim Zerquetschen des Fußgelenks einfach
zusammengesunken und ihr Herz hatte nicht mehr geschlagen. Arnulf war sehr
wütend gewesen. Das passierte ihm nicht noch einmal.
Arnulf wusste Brunos Folterkunst ebenso zu schätzen wie
seine unerschütterliche Treue zu seinem Herrn. Deshalb ernannte er ihn vor ein
paar Monden zum Hauptmann der Wachen und stellte ihn damit auf eine Stufe mit
Rupert, seinem engsten Vertrauten. Jetzt, wo Rupert tot war, rückte Bruno zum
ersten Mann an der Seite seines Herrn auf. Er würde ihn nicht enttäuschen.
Dieses störrische schwarzhaarige Weib würde unter seinen Händen zahm wie ein
Kätzchen werden. Er konnte es kaum erwarten.
In diesem Fall aber ging es nicht allein darum, das Opfer
möglichst lange zu quälen. Sein Herr wollte etwas von dem Mädchen. Er musste
eine andere Strategie anwenden als üblicher Weise. Zunächst einmal tat er so,
als meinte er es gut mit ihr. Er wollte es so darstellen, als hätte sie alle
Qualen, die sie erlitt und noch erleiden sollte nur sich selbst und ihrer
Verstocktheit zuzuschreiben. Mit dieser Methode konnte man jeden Menschen zu
jeder beliebigen Aussage zwingen. Es dürfte ein Leichtes sein, dieses Mädchen
dazu zu bringen, ihren Fluch zurückzunehmen. ‚Wenn sie ihren Fluch zurücknimmt,
gehört sie dir’, hatte sein Herr gesagt. Zwar stand er mehr auf üppigere
Formen, aber das Mädchen war wirklich außergewöhnlich hübsch. Er freute sich
schon jetzt darauf, sich mit dem Mädchen zu vergnügen, bevor er sie schließlich
seinen Männern überließ. Aber das hatte noch Zeit.
Ängstlich kroch seine Gefangene bis in die hinterste Ecke
zurück, als Bruno näher kam, sich zu ihr herab beugte und ihre Fesseln löste.
Dann sagte er in einem Ton, den er für mitfühlend hielt:
„Ich habe nichts gegen dich, Mädchen. Mein Herr will nicht deinen Tod. Er will
nur ein paar Worte von dir, sonst nichts. Aber er kann erst in ein paar
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