Das Mysterium Des Himmels
und nie mehr wiederkamen. Meist sollen es ein Mädchen und ein Knabe gewesen sein, die gemeinsam im Berg verlorengingen.
Von dem Berghang aus waren weiße Wolken zu sehen und das Flackern des Lichts unterhalb der Sonne. Bis das Licht in den dunklen Abend überging, schien die Sonne wärmend auf den Platz vor der Hütte. Sie saßen in einem Kreis um eine neue Feuerstelle und waren alle gut gewärmt. Nach der langen Winterzeit war dies ein angenehmes Gefühl. Rosmerta erschien und brachte ihnen Körbe mit Essen. Für Atles hatte sie zwei in kaltem Wasser liegende Blätter mitgebracht, die er sich auf die Lider legen sollte. Nach der langen Zeit im Salz vertrugen seine Augen das helle Licht noch nicht. Er schlug sich später eine Decke um die Schultern und blieb die ganze Nacht beim Feuer. Atles atmete die Gerüche der Mutter Erde ein und die Düfte aus dem nahen Wald. Wie sehr hatte ihm das während der vielen Tage und Nächte im Salz gefehlt.
Wie überwältigend erschien ihm dieser helle Frühlingsmorgen. Die Sonne lag noch in dichten Wolkenbetten, doch ihre Wärme berührte die Erde schon und der Himmel wurde langsam hell und heller. Wie viele Farben es gab, die in verschiedenen Schattierungen den Wald und den Berg veränderten. Atles badete geradezu in diesem Licht und lauschte auf die unterschiedlichen Vogelstimmen. Er musste sich sehr konzentrieren, um sie alle wiederzuerkennen. Als Kind war er in der Lage gewesen, jeden Vogel auf der Stelle zu benennen, wenn der nur seinen Schnabel geöffnet hatte. Nun musste er sich anstrengen, alle Stimmen zu erfassen. Eine tiefe Sehnsucht nach seinem Dorf kam in ihm auf. Er dachte an die Leute, die auf den Feldern und bei den Tieren arbeiteten. Mit eiligen Schritten lief er selbstvergessen zwischen den vertrauten Häusern entlang, sah den Schmied, den Lederschneider, die Holzschneider und die anderen Frauen und Männer aus seiner Sippe. Ob noch alles an seinem Platz sein würde, wenn er wieder zurückkam? Atles öffnete die Augen. Unterhalb der Bäume saß Kida die Wölfin. Atles kannte sie, weil Kida immer in der Nähe von Ekuos gewesen war. Er hielt sie für ein kleines Mädchen, das durch einen bösen Fluch in die Wölfin verwandelt worden war. Sie suchte die Nähe von Ekuos, weil der sie in das Leben als Mensch zurückführen sollte, davon war er überzeugt. Kaum hatte Atles diesen Gedanken zu Ende gedacht, da trat Ekuos aus dem Wald heraus und trug in beiden Händen Schnee vor sich her. Er musste also weit oben am Berg gewesen sein. In diesem Moment war Ekuos ihm unheimlich. In Atles wuchs eine Distanz zu seinem Bruder, die er sich aus der Erscheinung erklärte. Für einen Moment war ihm, als wäre Ekuos direkt aus dem Himmel herab auf die Bergspitze gekommen und unversehrt den steilen Hang bis zu ihrer Wiese hinabgestiegen. Ekuos beachtete ihn auch nicht weiter, sondern ging direkt in die Hütte. Nur wenig später standen Matu und Amadas schweißüberströmt auf der Wiese und gruben Löcher, in die Baumstämme gestellt wurden. Werena führte gleich zwei Pferde in den Berg und kam mit an Stricken gebundenen Bäumen aus dem Wald, während Amanda in einer Grube dunkelbraune Erde anrührte, mit der die Fugen geschlossen werden sollten. Man baute eine größere Hütte und Ekuos hatte es angeordnet. Nicht er allein, denn bald darauf erschien Rosmerta mit Eichenzweigen und segnete das neue Gebäude. Für Atles blieb das alles völlig unverständlich. Er wollte gehen, sich aus dieser Gegend für immer entfernen. Er konnte nicht verstehen, dass Ekuos seine Sippe alleinließ.
Der Zwerg saß mit erschrecktem Blick in einem Baum. Atles sah hinauf und wollte die anderen alarmieren, aber der Zwerg legte einen Finger auf die Lippen. Atles hatte bereits im Salzberg Furcht davor gehabt, dass ihm einmal einer der Zwerge gegenübertreten könnte, die im Berg lebten. Zwar hatte noch nie jemand einen Zwerg gesehen, aber alle glaubten daran, dass es sie gab. Die Luft gab es gleichermaßen und die hatte auch noch niemand gesehen. Nun also sah er einen Zwerg und es geschah genau das, was man ihm erzählt hatte. Atles hockte wie gefesselt da und konnte sich nicht mehr bewegen. Die Zunge klebte ihm am Gaumen fest. Geheimnisvoll erschien ihm aber nicht der Zwerg, sondern das blauhelle Licht, das schräg vom Himmel in die Bäume fiel. Je heller das Licht hinaufstieg, desto weiter entfernte sich der Himmel. Die Bäume traten zur Seite und der Zwerg wischte mit den Händen durch die Luft, bis sich
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