Das Mysterium Des Himmels
Dunkelheit wieder den Berg hinauf. Der Eber war nicht mehr zurückgekommen. Zwei junge Eichen, vor denen ein großer Felsbrocken lag, so als wollte ihm die Natur einen guten Aussichtspunkt bieten, lockten ihn an. Ekuos kletterte auf den Felsen und fand dort ein von Menschenhand bearbeitetes Wolfsfell. Er schloss sich in dieses Fell ein und wartete. Es genügte, wenn er hell und wach über das Land schauen konnte, auch wenn er nichts sah. Den Fluss hörte er, der trug sein Wasser immer eiliger davon. Ekuos spürte durch den Nebel die Kraft des Wassers für seine innere Stärkung. So schaute er auf die Ewigkeit, weil alles Leben ein ewiger Fluss war, und der Ursprung allen Lebens lag in den Quellen und Wassern. Das hatte ihn der weise Mann gelehrt, an den er nun denken musste. Beim Tempel des Grannus stand der weise Alte und rief über das Wasser: ›Was tust du, Ekuos? Habe ich dich nicht gelehrt, dich fernzuhalten von dem gewöhnlichen Leben der Menschen? Habe ich dir nicht beibringen können, dass ein Hirte einsam in der Natur zu leben hat, dem Himmel und der Erde nahe und den Göttern ein guter Zuhörer? Habe ich dich das alles nicht gelehrt, Ekuos?‹
Ekuos hörte die Stimme des weisen Alten ganz nah. Wenn er an die Reise zu den Wassern des Grannus und die sich anschließende Suche nach Atles und den Freunden zurückdachte, erinnerte er sich auch an Ekuos in seinem Dorf. Davon war nicht mehr vorhanden als eben die Erinnerung. Er hatte Atles gefunden und Atles hatte nun Werena. Ekuos musste den Weisen recht geben. Es waren die Götter, die ihn verpflichtet hatten, zuzuhören, damit kein Unheil über das Land kam. Wer, wenn nicht die Götter, hatten ihm dieses zu tun eingegeben? Noch immer hockte der Tod unten am Fluss und hielt seine Blicke am Ufer fest. Wer wollte in ihm Unruhe schüren, damit er sich falsch verhielt? Böse Geister gab es zur Genüge. Oder wollten die Götter ihn einer Prüfung unterziehen, um seine Standhaftigkeit zu prüfen? Er war doch nur ein Hirte. Wäre er ein Seher, würden ihm die Götter die Augen öffnen.
Die Schreie der Gänse ließen ihn erneut auffahren. Er sah den Schwarm Gänse nicht über den Fluss kommen und in seine Richtung fliegen. Sie hielten offenbar ihren Kurs und bogen erst kurz vor seinem Standort in den heiligen Hain ab, vor dem Amanda ihre Wache hielt. Ekuos hörte über sich nur das Rauschen ihres Flügelschlages. Nun also würde es geschehen. Die Feinde mussten bald in sein Blickfeld kommen. Ekuos stieg vom Felsen. Er erwartete, dass sie den Nebel durchstießen und ihn angreifen würden. Aber er erwartete nicht, dass es Menschen sein werden. Doch dann blieb es einfach nur still.
Amanda wollte nicht, dass er sich ihr mit dem Fell des Wolfs näherte. Es hatte sie genug beunruhigt, dass sich Kida die Wölfin in seiner Nähe aufhielt. Bestimmt war sie wieder in der Umgebung und lauerte. Amanda hockte mit halb geschlossenen Augen und in gebückter Haltung an ihrem Platz. Sie hatte bereits all ihre Farbigkeit abgelegt und trug lange schon nurmehr erdfarbene Kleidung. Nun nahm sie ihre Kettchen von den Knöcheln der Füße und legte die Armreifen und die silbernen Spangen aus den Haaren dazu. Als Tochter der Kij hatte sie sich vor den bösen Blicken und den verwünschten Mächten tarnen und schützen müssen. Vor sich hatte sie ein Loch in den Boden gegraben. Jetzt nahm sie auch die aus acht gewundenen Goldfäden hergestellte Halskette und legte sie dazu. Die Kette war das Symbol der Macht der bestimmenden Frau ihrer Sippe. Die Älteste der Kij hatte sie damit geehrt und verpflichtet. Sie hatte ihre Pflicht nicht erfüllt, denn sie war Ekuos gefolgt. Sie übergab nun ihren gesamten Schmuck der Erde und somit der Großen Mutter. Jetzt war sie Amanda und sie begab sich unter den Schutz der Götter. Nun sollten sie über ihr Leben bestimmen.
Ekuos wollte weiter den Berg hinauf, um dem Nebel zu entkommen. Die Nacht könnten sie dort oben in der Höhle verbringen und sich ein Feuerchen anzünden. Amanda reichte ihm ein Stück gedörrtes Fleisch, aber Ekuos wollte nicht essen. Sie verstand ihn durch seine Körpersprache. Amanda wollte nicht in die Höhle, aber zurückbleiben wollte sie auch nicht. Lange schon hatte sie nicht mehr an ihr Leben als Tochter der Kij gedacht. Damals hätte sie einfach befohlen, was sie wollte, und wer ihr nicht zu Füßen lag, dem hätte sie das Haus anzünden lassen. Sie besaß einen kleinen Palast, durfte sich mehrere Gespanne leisten und jeder
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