Das Mysterium Des Himmels
Himmel drehten sich alle Köpfe nach Westen und die Furcht vor der Dunkelheit ließ die Leute schweigen. Die ersten Strohfeuer wurden angezündet, dem folgten größere Brandstellen. Die Ersten nahmen die Feuertaufe, indem sie durch die Flammen sprangen, um sich zu reinigen. Das Böse und die Mächte der Finsternis, die Dämonen und die Geister der Nacht, sie alle sollten durch diese Zeremonie vernichtet werden. Immer mehr Menschen übergaben ihre Unreinheit den Flammen und sprangen hindurch, um auf der anderen Seite gestärkt daraus hervorzugehen. Die Erzschmelzer ließen ihre Öfen aufflammen. Je stärker die schwarze Nacht über das Land kam, desto mehr Flammen waren zu sehen. Waren bei Tage längs der Danau nur die riesigen Wälder zu erblicken gewesen, so leuchteten nun überall die Flammen zur Sonnenwendezeit. Immer höher schlugen die Flammen und verbanden so die Erde mit dem Himmel. Jede Sippe zündete ihr Stroh an und rief den Göttern damit zu, dass sie weiterleben will. Die jungen Leute nahmen Fackeln und liefen mit ihnen über die Felder. Das Vieh wurde ebenfalls durch das Feuer getrieben, um es vor Krankheiten zu schützen. Ekuos schaute wie gebannt über das Land und sah überall das Leuchten der Flammen. Es wurde zu einem einzigen Aufschrei, die große Sonne möge ihren Weg durch die kommende dunkle Zeit finden und an ihrem Wendepunkt wieder neu geboren werden.
Talale trat aus ihrem Tempel, dessen Türen nun weit geöffnet waren. Ein Wagen wurde herausgeschoben, auf dem in einem Kessel ein mächtiges Feuer brannte. Die Seherin trat auf die Mauer und reckte ihre Arme in den Himmel. Die Menschen unten am Berg knieten nieder, während Talale das Unglück symbolisch in die Flammen warf und das Volk ihr zujubelte. Mit einer Fackel beschrieb sie anschließend den Lauf der Sonne, lief über die Mauer bis zum Eingangstor und entzündete dort das erste voluminöse Feuerrad. Drei Männer versetzten ihm einen kräftigen Stoß und so rollte das gewaltige Feuer den Berg hinab. Diesem Rad folgten einige weitere und jeder am Ufer verfolgte den Lauf der brennenden Räder. Hell erleuchtet zeigten sich nun die Burg und der Berg. Erst als das letzte Feuerrad unter dem Jubel der Massen mit einem mächtigen Satz weit hinausflog und auf dem Wasser aufschlug, setzte sich die Prozession mit Talale der Seherin und dem Feuerwagen in Bewegung, um im Tal jeder Sippe zu erlauben, sich an diesem göttlichen Feuer eine Fackel zu entzünden und damit in ihren Häusern das Herdfeuer zu entfachen, das bis zur nächsten Sonnenwende brennen sollte.
Während der Nacht hockte Ekuos fast direkt neben der schweren Eingangstür des Tempels. Am Ende der Halle saß Talale vor einem klein gehaltenen Feuer. Die anderen weisen Frauen und Männer konnte er nicht sehen. Sie saßen an den lang gestreckten Seitenwänden, warteten und hofften wie er, dass die Sonne nicht stehen geblieben war. An diesem Wendepunkt im Leben der Großen Sonne galt es, sich in allen Bereichen des Täglichen zurückzuhalten. Ekuos spürte gar nicht, dass er seit Tagen nicht mehr gegessen hatte. Angespannt wartete er ab. Wenn die Sonne wieder erscheinen würde, dann führte ihre Existenz immer tiefer in die Dunkelheit hinab, bis zu dem Morgen, an dem sie wiedergeboren werden würde. Aber daran zu denken, war schon fast frevelhaft, denn noch war es dunkle Nacht und nichts ließ darauf schließen, dass die Sonne wieder scheinen wollte. Tatsächlich lenkte er sich mit diesen Überlegungen davon ab, dass er eigentlich mit der Opferung von Palmira gerechnet hatte. Wozu sonst hatte er sie vom Tempel der großen Mutter bis nach Alkimoennis gebracht? Aber es hatte keine Opferung auf der Mauer der Burg gegeben. Weder Palmira noch sonst jemand war den Göttern übergeben worden. Ekuos durfte diese Dinge nicht bewerten, aber sie beschäftigten seinen Kopf. Er hatte sich bereits überlegt, in welcher Gestalt Palmira eines Tages wieder auf die Erde zurückkehren könnte. Solche Gedanken waren streng verboten und sie zeigten ihm, wie unreif er noch war. Er senkte den Kopf und schloss die Augen.
Als es leicht zu dämmern begann, da erhob Talale die Seherin ihre Stimme und sprach. »Die Große Sonne erreicht den Gipfel aller Gipfel und blickt tief hinein in die Anderswelt, wo es keine Mauern und kein Ende gibt. Wenn sie es will und die Götter es wollen, ist das Ende wieder ein Anfang. So schließt sich der heilige Kreis und er wird wieder geöffnet, solange die Götter dies wollen. Gebt
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