Das Mysterium Des Himmels
ein Beweis dafür, dass er lebte? Was war das Leben, woher kam er und wohin würde er gehen müssen?
Dann krachte es, als würden getrocknete Baumstämme über den Felsen stürzen und unter mächtigem Getöse zerbrechen. Blitze zuckten über den Himmel und erhellten das Gebirge bis weit hinauf zu den Gipfeln. Danach kam Wind auf und es begann ein Schneesturm, wie Ekuos ihn noch nicht erlebt hatte. Innerhalb weniger Augenblicke lag der Ort unter einer Schneedecke verborgen und einige Dächer hielten dem Druck nicht mehr stand und brachen ein. Schreiend flohen die Menschen und fielen in den aufgetürmten Schnee. Auf einmal schien der ganze Ort zu schreien. Von überall her liefen die Leute zusammen und begannen nach Verschütteten zu graben. Einige von ihnen sahen zu Ekuos hinüber und ihre Blicke bedeuteten nichts Gutes. Ekuos glaubte zu erkennen, dass sie den Sehern die Schuld an dem Unglück gaben, weil sie während des Gänseorakels geschwiegen hatten. Talale öffnete die Tür und ließ Ekuos hinein. Reglos blieb er an der Feuerstelle stehen und sah zu, wie der Schnee durch eine Öffnung im Dach in ein eisernes Gefäß fiel, das über dem Feuer hing, und dort sofort zu schmelzen begann. Vor sich im Dunkeln sah er nichts. Er schaute und erblickte nichts. Ekuos schloss die Augen und er sah in eine zerstörte Welt. Jetzt ahnte er, dass es Talale so ging wie ihm selbst. Etwas würde geschehen und sie mussten es geschehen lassen. Würden sie zu den Menschen sprechen, sie würden ihnen nicht zuhören. Alle warteten auf den Frühling und zunächst auf die Auferstehung der Sonne. Es gab keinen Grund mehr für ihn zu bleiben, aber er wollte Talale wissen lassen, dass auch er ein von den Göttern geweihter Seher war.
»Leere Fenster verraten nichts. Einmal wird der blaue Himmel ausgetrunken sein. Frei strömend wird der Atem der Götter über uns kommen und es wird nur noch eine Erinnerung geben, die an tote Gesichter.«
Ekuos sah, wie Talale nach einem Stück Brot griff und es aß. Anschließend schöpfte sie den geschmolzenen Schnee in ein Gefäß. Sie hatte verstanden. In Erwartung der Wiedergeburt des Goldkindes stärkte sie sich.
Der Schnee blieb sehr lange liegen, bis es zu regnen begann. Erst rochen die Berge nach Regen, dann der Wind und schließlich ergoss sich das Wasser über das Land. Die Menschen mussten den Schlamm von den Wegen schieben, keine Karren schafften es durch den Morast und selbst die Pferde verweigerten sich. Männer schlugen mit Hacken den Boden auf, damit das Schneewasser abfließen konnte. Ekuos betraf der Wetterumschwung nicht, denn er wohnte auf einem Berganstieg. Dort war der betörende Geruch der Mutter Erde so intensiv, dass er dachte, es sei sein eigener Atem. Die Menschen sehnten sich nach der Sonne, aber sie kam nicht hervor. Es blieb dunkel. Manchmal lachten die Menschen, wenn sie eine helle Wolke erblickten. Atem und Blut stockten ihnen, wenn es von den Bergen herab grollend tönte und dort die Gefährten des Todes ihre Karren bereithielten. Abends am Feuer sprachen die Geschichtenerzähler von den Regenbögen. Es machte den Menschen Freude, von grünen Wiesen und blühenden Apfelbäumen zu hören.
Ekuos verließ das Haus kaum noch. Denn als der Frost über das Land kam, fror der Boden, sodass fast kein Brunnen mehr benutzt werden konnte. Was half es da noch den Menschen, sich vorzustellen, wie es im Frühling sein würde? Auch die Dunkelheit blieb und die Leute wurden immer stiller. Es wurde so dunkel, dass einige Menschen hinausgingen und die Götter um Hilfe anriefen. Mit den frostigen Tagen brachten immer weniger Leute etwas zu essen zur Hütte. Amanda und Werena hatten genug damit zu tun, das Feuer am Leben zu halten, denn es wurde noch schwieriger, etwas Brennbares zu finden. Trotz aller Gefahren versuchte Ekuos, in den Berg zu gehen. Kaum hatte er einen einigermaßen begehbaren Pfad gefunden, da spürte er Amanda in seinem Rücken.
»Es tröstet mein Herz, wenn wir gemeinsam sterben«, sagte sie.
Am Himmel standen Wolken wie Bäume. Bis nach ganz oben wollte er gelangen, um dem Leben der Menschen zu entkommen. Der Himmel ist nie ein leeres Fenster. Der Blick wurde klar und ihr gemeinsamer Atem wehte mit dem Wind hinüber zu den Göttern. Verwundert blickte das Licht über die Gipfel und Ekuos verwirrte die Vögel, als er höher und immer höher den Berg erklomm. Die Menschen erwarteten, dass sich einer der Auserwählten für sie opfert. Dafür würden sie ihn verehren.
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