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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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nicht in unserer Macht. Unser freier Wille erlaubt uns, sie anzunehmen oder abzulehnen.
     Das bedeutet nicht, daß es unser Verdienst ist, wenn wir gerettet werden. Seht Euch das an!«
    »Was?«
    William wies auf einige verschneite Büsche. »Da ist uns jemand zuvorgekommen. Letztes Jahr war ich der erste. Wem habe ich
     von dieser Stelle erzählt? Irgendwer hat alles abgepflückt.« Er trat an die Büsche heran und bog die Zweige auseinander. »Nicht
     eine Beere hat man uns gelassen!«
    »Das sind die Schlehenbüsche?«
    »Ja, gleich bei meinen Bienen.«
    »Ihr züchtet Bienen?« Natürlich hatte er Kenntnis davon. Seine Gehilfen hielten den Gelehrten unter ständiger Beobachtung.
    »Seht Ihr? Dort drüben, die Körbe. Vier Völker habe ich.« William Ockham lächelte. »Ich liebe alles, was kleine Flügel hat
     und durch die Lüfte schwirrt. Vielleicht ist es Neid.« Er lief hinüber zu den Körben, stellte sich vor jeden von ihnen und
     lauschte eine Weile. Er wies auf den rechten Korb. »Das sind meine Sorgenkinder. Das Volk ist im Herbst nicht stark genug
     geworden. Ich fürchte, es wird sterben.«
    Daß es den berühmten Gelehrten kümmerte, ob einige Bienen starben! »Dann gebt Ihnen zu fressen.«
    »Dafür ist es zu spät. Ein schwaches Volk kann im Winter nicht genug Wärme erzeugen. Es erfriert vor dem Frühling.«
    »Wo Ihr von Erfrieren sprecht, wollen wir noch länger hier im Wald herumstehen? Es ist kalt.«
    »Wir können gern umkehren. Seht Ihr jetzt, wozu die gut sind?« Er hob die Fäustlinge in die Höhe.
    Nach einigen Schritten fragte Vizenz: »Obwohl Ihr selbst als Ketzer unter dem Kirchenbann steht, denkt Ihr also, daß in Amiels
     Fall die Kirche recht hat.«
    »Es geht mir nicht um Amiel. Ich betrachte lediglich seine Aussagen. Und die sind, so denke ich, falsch. Ihr wißt ja, jeder
     Mensch hat gegen die von Gott erlassenen Gesetze des Universums |259| verstoßen. Jeder Mensch verstößt täglich dagegen. Wenn wir dennoch straffrei ausgehen, dann allein aus Gnade. Gott rettet
     uns in die Unsterblichkeit trotz unserer Fehler. Weil er uns liebt, macht er uns unbestrafbar.«
    »Unbestrafbar? So lehrt es die Kirche nicht.«
    »Da seht Ihr: Die Kirche ist häufig näher an Amiels Sicht der Dinge, als sie denkt. Es schleichen sich Rituale ein, mit deren
     Hilfe man sich Gottes Wohlwollen zu erarbeiten sucht. Bußreisen, Spenden, Selbstzüchtigung, zerknirschte lange Gebete, die
     mehr Arbeit sind als Gespräch mit Gott. Erlösung ist keine Belohnung für etwas! Gott schenkt sie uns ohne Verdienst, das liegt
     in seiner Macht. Ein König kann seinem Feind eine Beleidigung verzeihen, auch ohne daß dieser ihm ein Geschenk gegeben hätte.«
    »Habt Ihr nicht in Oxford Theologie studiert? Die Heilige Schrift fordert unmißverständlich, daß wir uns an die Gesetze Gottes
     halten.«
    »Ach ja? Als Vorbedingung? Paulus hat Gottes Stimme gehört. Obwohl er zuvor die Christen verfolgt hat, obwohl er sich an ihrem
     Tod erfreute! Es kann keine Belohnung für sein Handeln gewesen sein, daß Gott mit ihm gesprochen hat. Und doch hat ihn Gott
     zu sich gerufen und hat ihn angenommen.«
    »Paulus hat seine Taten bereut.«
    »Nachdem Gott ihn zu sich rief, nicht vorher. Das ist der Fehler, den Amiel macht. Er meint, erst wenn er perfekt ist, kann
     er sich Gott nähern. Dabei handelt die ganze Heilige Schrift von Vergebung!«
    »Ihr geht etwas zu weit, William. Im Eifer, natürlich. Bedenkt bitte, Gott will, daß wir aufhören zu sündigen. Gott haßt die
     Sünde, er –«
    »Das steht in der Heiligen Schrift«, unterbrach ihn der Engländer. »Aber auch Gottes Verfahren wird erklärt, mit dem er uns
     von ihr befreit. Es heißt, wir sollen Christus anziehen. Wir sollen uns also als ›Sohn Gottes‹ verkleiden. Unter der Verkleidung
     sind wir immer noch sündige Menschen |260| und brauchen Gottes Vergebung. Indem wir ›Sohn Gottes‹ spielen, werden wir ihm allerdings auf behutsame Weise ähnlicher. Ist
     das nicht ein herrlicher Weg, den Gott sich da ausgedacht hat?«
    Man hatte ihn, Vizenz, als Inquisitor berufen, weil es hieß, er sei ein scharfer Denker. Wie aber sollte er der Kirche zum
     Sieg verhelfen, wenn er es mit Ketzern wie William Ockham zu tun bekam, die mit teuflischer Klugheit gegen ihn kämpften? Schlimmer
     noch, mit einer Liebe, die er kaum von sich zu weisen vermochte! Dieses Gespräch mit William Ockham bewies erneut: Er war
     der Aufgabe nicht gewachsen. Der Engländer entlarvte ihn,

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