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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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konnte. Er schmiegte sich an die Mauer, spürte sie naß und kalt an der Wange.
    Was würde er sagen, im Falle, daß sie ihn schnappten? »Ich habe Hunger und wollte Brot stehlen.« Nein, im neuen Hemd, rasiert
     und gewaschen – das glaubte man ihm nicht. »Ich wollte einmal im Leben den Kaiser sehen.« Das klang lächerlich.
    Mit großer Anstrengung hievte er sich hinauf. Der Rücken fühlte sich an, als würde er in zwei Hälften reißen. Seine rechte
     Hand tastete, der Arm weit ausgestreckt. Die Kuppe! Er umklammerte sie, faßte mit dem linken Arm nach, stemmte sich hinauf.
     Endlich konnte er das Bein über die Mauer schwingen. Rittlings saß er oben. Sein Herz raste.
    |115| »Du wirst nachlässig, Adeline.« Gräfin Giselberga löste eine der Schleifen, die ihr Kleid an der Seite schlossen. »Binde sie
     noch einmal. Aber diesmal so, daß sie hält, Kindchen.«
    Adeline band die Schleife erneut und zog sie fest zu.
    »Schon besser.«
    Als sie die Treppe hinaufgekommen war, hatte die Gräfin schon nach ihr gerufen. Es war knapp gewesen. Sie sollte so etwas
     nicht wieder tun. Kurz nach dem Erwachen war Giselberga übellaunig. Adeline nahm sich vor, in den nächsten Tagen ein musterhaftes
     Kammermädchen zu sein.
    »Reiche mir meinen Mantel, den weinroten.
    « Sie nahm den Mantel aus der Truhe und hielt ihn weit auf. Die Gräfin schritt hinein. Adeline legte ihr das schwere Tuch
     über die Schultern, eilte um sie herum und fügte die metallenen Tasseln mit dem Schließband zusammen.
    »Wir werden uns ein wenig im Garten ergehen.« Giselberga legte die Finger auf das Band vor ihrem Hals. »Ich hatte einen Traum,
     den möchte ich dir erzählen.«
    »Es hat geregnet, Herrin, die Wege sind naß.«
    Die Gräfin hob eine Braue. »Sehe ich aus wie diese verweichlichten Dämchen, die hier versuchen, die Edelleute zu becircen?«
    »Nein, Herrin.« Adeline senkte den Blick. Sie zog das weiße Laken über dem Bettlager straff, dann ging sie zur Tür. Zu gern
     hätte sie von den Pomeranzen gegessen, die in der silbernen Schale lagen. Aber es schickte sich nicht, danach zu fragen. Sie
     waren für die Gräfin bestimmt, nicht für ihr Kammermädchen.
    Sie hatte vor der Dame die Treppe hinunterzugehen, um sie auffangen zu können, im Falle, daß sie stolperte. Was würde passieren,
     sollte Giselberga tatsächlich stolpern? Es war eine gräßliche Vorstellung. Vermutlich würde sie die Gräfin an unmöglichen
     Körperstellen berühren. Dann würden sie im Fallen gemeinsam Halt finden und sich just in diesem Moment bewußt werden, wie
     ungehörig es war, daß das Kammermädchen die Gräfin umklammert hielt. Adeline hoffte inständig, |116| daß es nicht geschah. Es würde für immer zwischen ihnen stehen, es würde eine Abscheu hervorrufen, die nie wieder zu lösen
     war.
    »Von einem Mann habe ich geträumt«, sagte die Gräfin.
    Die Gräfin nahm selten das Wort ›Mann‹ in den Mund. Daß sie in jungen Jahren verheiratet gewesen war, konnte sich Adeline
     nicht vorstellen.
    Die Gräfin raunte: »Es war ein unschicklicher Traum, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Adeline begann zu schwitzen. Warum gestand Giselberga das? Was sollte sie dazu sagen? Ein gefährlicher Augenblick, mit einem
     falschen Wort konnte sie alles verderben. »Gräfin?«
    »Geh weiter, dummes Ding! Wir können nicht hier auf der Treppe davon sprechen.«
    Sie traten hinaus und gingen an den Löwen vorüber, die träge in ihren Käfigen lagen. Die Tiere stanken nach Urin und Kot.
     Die Gräfin zog zum Tor hin. Auf der anderen Seite öffnete sich der Garten ihrem Blick, tropfend, naßglänzend. In einem der
     Birnbäume sang eine Amsel.
    »All die Jahre, und nun regt sich wieder die Sehnsucht in mir. Ich hätte nicht gedacht, daß Wünsche solcher Art noch in mir
     leben. Aber ich weiß, woher sie rühren. Es gibt da einen Mann, der mir gefällt. Er ist überaus klug und hat einen vortrefflichen
     Charakter.«
    Adeline spürte, wie sich die Hand der Gräfin fester um ihren Unterarm schloß. Leise fragte sie: »Habt Ihr mit ihm gesprochen?«
    Stare stakten über die Wiesen. Es sah aus, als versuchten sie zu schleichen, so sorgfältig setzten sie ihre Krallen in das
     Gras. Sie äugten, pickten, sahen ängstlich auf. Es tropfte aus dem Geäst. Die Luft war frisch und klar.
    »Nein, das ist gänzlich undenkbar«, sagte die Gräfin.
    »Ist er –« Adeline schluckte. »Ist er verheiratet?«
    Ein strenger Ruck an ihrem Arm. »Kindchen! Ich bitte

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