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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Wollte er ihn, Nemo, mit dem Brief an William Ockham in diese Falle schicken?
    Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er durfte sich nicht gehen lassen, durfte keine Angst zeigen. Er versuchte, das Unwetter
     in seinem Bauch in kühle, berechnende Wut zu verwandeln. Bald wirst du mächtige Feinde haben, dachte er, du wirst zu mir angekrochen
     kommen, Amiel.
    Die Musiker durften durch das Tor zum Kaiserhof eintreten. Nun wendeten sich die Wachen ihm zu. Auf der Brücke umzudrehen
     und einfach davonzugehen, kam nicht in Frage. Es würde Verdacht erregen, und sie würden ihm nachkommen. Er sagte: »Seid gegrüßt,
     edle Männer. Ich würde mir gern eure Waffenröcke ansehen.«
    Sie stutzten.
    Die Flucht nach vorn. Nun hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit. Aber womöglich konnte er sie lenken, anstatt ihr ausgeliefert
     zu sein. Schnell trat er auf einen der Männer zu und griff nach dem gelben Stoff seines Rocks. Er rieb ihn zwischen den Fingerspitzen.
     »Soso«, sagte er und näherte das Gesicht, bis er mit der Nasenspitze beinahe die Brust des Mannes berührte. Er folgte mit
     den Augen den Nähten des Reichsadlers.
    »Was soll der Unsinn?« herrschte ihn der Wächter an. Er umschloß mit der Hand seinen Hals und zwang Nemo in die Höhe.
    |113| »Ich bin Schneider«, würgte er hervor. »Ich wollte fragen, ob vielleicht Waffenröcke benötigt werden? Ob ich vielleicht einen
     kaiserlichen Auftrag erhalten könnte?«
    Der Wächter stieß ihn von sich. Nemo taumelte zurück. Im Rücken stach es, als bohre ihm jemand von hinten ein Schwert in den
     Körper.
    »Hermann Glaespeck ist seit acht Jahren kaiserlicher Hofschneider. Wenn du dich vorher erkundigt hättest, hättest du das gewußt.
     Du willst ein guter Schneider sein? Daß ich nicht lache! Verzieh dich!«
    Ein anderer Wachmann ergänzte: »Und laß dich hier nicht wieder blicken!«
    Nemo trottete davon, an der Westseite des Kaiserhofs entlang, und bog an seinem Ende gen Osten ein. Er blieb stehen und schöpfte
     Atem. Beinahe hätten sie ihn gehabt. Es war gerade noch einmal gut gegangen. Nun mußte er auf andere Weise in den Kaiserhof
     eindringen.
    Vor dem Wassergraben an der Nordseite des Hofs blieb er stehen und sah an der Mauer hinauf. Mehrere Mannslängen ragte sie
     in die Höhe ohne Fenster, ohne einen erreichbaren Sims. Dann begannen die Bogenfenster, von denen eines zu Adelines Kammer
     gehörte. Den Graben konnte er überspringen, aber wie sollte er an der Mauer hinaufgelangen?
    An der Ecke des Gebäudezugs setzte eine niedrigere Mauer an die höhere an. Wenn es ihm gelang, diese niedrigere Mauer zu erklimmen,
     würde er so die Wachen umgehen. Zumindest gelangte er in den Garten. Von dort aus würde er weitersehen. Er drehte sich um.
     Die Straße lag verlassen da. Nemo nahm Anlauf und sprang über den Graben. Hart landete er auf der anderen Seite am Fuß der
     Mauer. Der Schmerz im Rücken war kaum zu ertragen. Er biß sich in die Faust. Nach einer Weile ließ das Stechen nach. Und die
     Mauer? Von ihrem Fuß aus betrachtet, sah sie höher aus als zuvor, sie glich einem zweigeschossigen Haus.
    Ihre Oberfläche war rauh. Steine ragten heraus. Es mußte möglich sein, an ihr hinaufzuklettern. Er durfte keine Zeit |114| verlieren. Wenn jemand ihn auf dieser Seite des Grabens sah, war er geliefert.
    Er streckte die Arme in die Höhe und tastete nach Ritzen zwischen den Steinen. Mit aller Kraft klammerte er sich fest und
     zog sich hinauf. Die Füße drückten auf Mooslappen, auf Steinvorsprünge. Er schob. Er schrammte mit dem Bauch an der Mauer
     entlang. Sein Rücken brannte dabei wie Feuer.
    Auch die Fingerkuppen schmerzten. Er mußte weiterklettern, höher hinauf! Vorsichtig löste er eine Hand und fühlte über die
     Mauer. Eine neue Ritze. Er klemmte die Finger hinein. Den linken Fuß hob er an und drückte ihn gegen einen rundlichen Stein.
     Er stemmte sich in die Höhe. Der Fuß rutschte ab. Hastig trat er aus, suchte neuen Halt. Ein winziger Vorsprung rettete ihn,
     er war gezwungen, alles Gewicht auf ihn zu legen, um seine pulsierenden Finger zu entlasten.
    Er keuchte. Hitze stieg ihm in den Kopf. Weiter! Er sah hinauf. Die Mauerkuppe war zwei Armlängen entfernt. Den rechten Fuß
     hob er an, winkelte das Knie, suchte einen gewagten, weit oben liegenden Halt. Er zog den linken Fuß nach. Einen Augenblick
     lang hing sein Körpergewicht an den Fingerspitzen. Dann fand er einen dicken Mooslappen, auf den er sich mit dem linken Fuß
     stützen

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