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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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als Häretiker der
infamia
preisgegeben.« Oh, welche Genugtuung, endlich diese Worte auszusprechen! Natürlich, |244| die Zeugenaussagen durch Adeline und die Schwangere waren nicht besonders nützlich. Für ein Todesurteil reichte es noch lange
     nicht. Aber Amiel war zumindest als Ketzer verurteilt! Es ging bergab mit ihm.
    Hätten sie das versprochene Ketzerbuch gefunden, dann wäre alles einfacher gewesen. Aber dieser Fuchs hatte sie bereits erwartet,
     er war vorbereitet gewesen. In seiner Kammer hatte sich nichts gefunden, das ihn belasten konnte, keine Briefe, kein geweihtes
     Brot.
    »Ihr verliert Euer Recht, als Bürger in ein öffentliches Amt gewählt zu werden. Ihr verliert zudem die Würdigkeit, ein Amt
     als Richter, Advokat oder Notar auszuüben, ungeachtet Eures Studiums des Rechts. Darüber hinaus habt Ihr eine Geldstrafe von
     zehn Pfund zu entrichten.« Eigentlich hatte er die stattliche Summe von zwanzig Pfund angesetzt, was in etwa dem Kaufwert
     eines halben Hauses entsprach, aber Amiel hatte sie geschickt auf zehn Pfund halbiert, weil er durch die Aussagen von Frauen
     verurteilt wurde, und Frauen waren zwar als Zeuginnen zugelassen, nur war dabei generell ein geringeres Bußgeld zu bezahlen,
     als wenn die Zeugen Männer gewesen wären. »Das Bußgeld fällt zu einem Drittel an die Stadt München, zu einem Drittel an die
     Zeugin, die den ersten Hinweis gab auf Eure Sünde, und zu einem Drittel an mich. Außerdem werdet Ihr zu sechzig Rutenschlägen
     verurteilt.«
    Darauf hatte das Volk gewartet. Das Raunen schwoll an. Er sagte laut: »Das Urteil wird sofort vollstreckt.«
    Der Henker trat an Amiel von Ax heran. Er hieß ihn, die Hände vor die Brust zu strecken, und band sie mit Weidenruten zusammen.
     Der Henker trug keine Kapuze. Das war auch nicht notwendig. Nach dem Aberglauben der Leute konnten ihn nur Todgeweihte mit
     ihren letzten Blicken verfluchen. Er zückte ein Messer, stellte sich hinter Amiel und schnitt ihm auf dem Rücken das Hemd
     entzwei. Die Inquisition würde ihm das Büßerhemd in Rechnung stellen, selbstverständlich.
    Der Ketzer fror. Seine Lippen waren blau. Noch stand er aufrecht. Bald würde er zerknirscht vor ihm, dem Inquisitor, |245| knien. Amiel von Ax rief: »Wenn ich predigen dürfte, ich würde euch alle bekehren!«
    Da fuhr der erste Schlag auf seinen Rücken nieder. »Eins.« Der Henker sagte es ruhig. Er war ein unerbittlicher, hartgesottener
     Mann.
    »Zwei.«
    »Drei.«
    Wo blieb die Schadenfreude des Volkes? Die Menschen standen mit unbewegten Gesichtern. Niemand feixte, niemand zählte höhnend
     mit. Beim siebten Hieb erdreistete sich jemand zu rufen: »Laßt den heiligen Mann frei!« Vizenz gab den Wachen ein Zeichen.
     Sie zerrten den Rufer aus der Menge und schleppten ihn fort.
    Der Ketzer stand aufrecht und nahm die Hiebe hin. Die Rute war längst blutig. Im Gesicht des Henkers mehrten sich rote Sprenkel.
     Warum schwiegen die Münchner? Vizenz hatte so etwas noch nicht erlebt. Das Volk haßte Ketzer, es war doch froh über einen
     Schauprozeß, in dem das Böse niedergerungen wurde!
    Diesen aber liebten sie. Da war Mitgefühl im Volk, da war Ärger auf ihn, den Inquisitor. Amiel wirkte wie ein Märtyrer, der
     bereit war, um seines Glaubens willen zu leiden. Man bewunderte ihn für sein Opfer. Wie war das möglich? Der Blick Amiels
     richtete sich unvermittelt auf ihn, als lese er seine Gedanken. Er hielt ihn fest, sah ihm bis auf den Seelengrund. Hatte
     er all das geplant, hatte er den Prozeß dahin gelenkt?
    Amiels Blick bohrte sich in ihn. Ihm war, als würde eine dunkle Kraft Widerhaken in sein Fleisch senken. Der Ketzer war nicht
     vernichtet. Im Gegenteil. Er gewann mit jedem Rutenhieb an Kraft.
     
    Als die Schläge aufhörten, stand Nemo wie benommen da. Er fühlte sich, als wäre
er
geschlagen worden. Der Inquisitor verlas nun seinen Bußbrief, aber es drang nur dumpf in sein Bewußtsein, wie aus weiter Ferne.
     »Der Büßer hat von jetzt an und für immer auf seinen Kleidungsstücken, außer den Hemden, |246| gelbe Kreuze zu tragen. Dabei soll eines vorn auf die Brust und das andere zwischen die Schultern genäht werden. Der Büßer
     hat sich weder innerhalb noch außerhalb seines Hauses ohne diese Kreuze zu bewegen.«
    Um das Urteil sichtbar zu machen, befestigten ihm zwei Gehilfen des Inquisitors mit wenigen Stichen Kreuze am Kittel. Er wurde
     gekennzeichnet als einer, der Obacht geben mußte, weil er der Hölle nur knapp

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