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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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entronnen war und wieder in ihre Klauen geraten
     konnte, endgültig. Es mochte sein, daß man ihn fortan in manche Schenke nicht hineinließ, daß er auf dem Markt nicht überall
     Waren erhielt.
    Aber was bedeutete das! Er war Zeuge einer Macht geworden, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Amiel von Ax beherrschte die
     Volksmenge. Obwohl er der Bestrafte war, obwohl er zu Boden geworfen wurde von der Inquisition, war er in den Augen der Menschen
     aufgerichtet und über jedes Urteil erhaben. Wer war dieser Mann? Wie in aller Welt gelang es ihm, die Herzen der Menschen
     zu lenken?
    Dort vorn lief er, gefolgt von einer Menschenmenge. Man gab ihm zu trinken. Er trank, dann ging er weiter. Nemo folgte ihm.
     Bis zum Goldschmiedehaus ging er inmitten einer Menschentraube. Vor dem Haus hob der Perfectus die Arme und segnete die Menge.
     Die Leute erfreuten sich daran, viele verneigten sich. Er sagte: »Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben.
     Die Kirche lehrt euch, daß Gott eines Tages eure Leiber auferweckt aus der Erde und euch neues Leben schenkt. Das ist eine
     Lüge. Eure Körper sind nur Gefängnisse für die Seele. Sie sind Teil dieser bösen Welt. Gott hat euch nicht geschaffen. Ihr
     seid Verfluchte, das ist es, was ihr seid.«
    Die Menschen lauschten mit offenen Mündern.
    »Ihr steckt einem Sterbenden eine gesegnete Kerze in den Mund. Meint ihr, das bringt etwas? Ihr könntet sie ihm genausogut
     in den Hintern schieben. Verachtet die Körper, sage ich! Verachtet die Verlockungen dieser schwarzen Welt! Nur dann könnt
     ihr gerettet werden. Ihr seid Geistwesen! Ich werde euch den Weg weisen, der zur Freiheit führt. Züchtigt |247| euch selbst, vernichtet jede Begierde! Die Lust, die euch nach Liebe dürsten läßt, nach Schönheit und Festmählern und berauschender
     Musik, sie ist eine trügerische Falle. Nichts zu wollen als allein die Ewigkeit, das ist der Weg zur Befreiung.« Er sah schweigend
     über die Menge. Dann machte er kehrt und ging auf den Hof. Auch hierhin folgten ihm noch einige Menschen. Erst als er die
     Treppe erklomm, ließen sie ab von ihm. Mit ihm gingen nur Simon und Jakobus und Bartholomäus und der Glatzkopf von den Fleischbänken.
    Nemo stieg hinter ihnen die Treppe hinauf. Er trat in die Wohnung.
    Der Perfectus sank auf einen Schemel nieder. Er sah müde aus. »Der Rücken«, sagte er und verzog das Gesicht dabei. »Du wirst
     mir die Wunden auswaschen, Nemo. Dann gehst du zu einem Apothekarius und kaufst Heilkräuter und Tuchstreifen.«
    »Ja, Herr.«
    »Vorher reißt du diese albernen Kreuze von deinem Kittel.«
    »Die Kreuze? Aber ich bin verpflichtet, sie zu tragen! Man wird auf mich achtgeben.«
    »Fürchtest du, daß man dich schlägt, wie man mich geschlagen hat? Fürchtest du diesen lachhaften Inquisitor? Was heute geschehen
     ist, war notwendig. Sonst hätte ich es nicht zugelassen. Die perfekte Kirche hat die Herrschaft über diese Stadt übernommen.
     Bald wird sie das ganze Kaiserreich in ihrer huldvollen Hand halten. Kein Inquisitor, kein Büttel kann dir ein Haar krümmen,
     wenn ich es nicht will.«
    Entweder, Amiel überschätzte sich maßlos, oder er lenkte Kräfte, von denen niemand etwas ahnte. Am besten war es, zunächst
     Gehorsam vorzutäuschen. »Was soll ich mit den Kreuzen tun?«
    »Du verbrennst sie. Wirf sie in den Ofen. Was sollen die Kreuze in den Kirchen! Ein Mann sollte den Galgen zerschlagen, an
     den sein Vater gehängt wurde. So muß man auch die Kruzifixe zerschlagen, anstatt sie zu verehren. Christus wurde daran aufgehängt!
     Wenn auch nur dem Schein nach.«
    |248| »Wie meint Ihr das, nur dem Schein nach?«
    »Glaubst du, er hätte wirklich an einem Kreuz gehangen? Das wäre seiner unwürdig gewesen.«
    Nemo löste mit seinem Messer vorsichtig die Kreuze vom Kittel. Er befühlte sie. Er würde die Kreuze brauchen, wenn er sich
     der Seite anschloß, die gegen Amiel kämpfte.
    »Wirf sie in den Ofen, habe ich gesagt!«
    Vor dem Ofen kniete der Glatzkopf und schob Holzscheite hinein. Nemo kniete sich neben ihn, und während er sich niederließ,
     steckte er sich eines der Kreuze unter das Hemd. Das andere warf er ins Feuer. Es krümmte sich, dann schlugen Flammen heraus
     und verzehrten es. Die Hitze des Ofens brannte auf seinem Gesicht. Hatte der Fleischhacker bemerkt, daß es nur ein Kreuz gewesen
     war?
    »Hole jetzt frisches Wasser!« befahl Amiel.
    Nemo ging hinaus. Was bezweckte der Perfectus? Er wollte ihn ungehorsam

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