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Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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Augen.
    Sie bildeten abermals eine Gasse, die sich hinter den Gefährten schloß. Dorgele ging an der Spitze der sich formierenden Prozession.
    »Wohin?« fragte Mythor.
    Sie wirkte immer noch verklärt, als sie antwortete:
    »Über die Insel, Honga. Zur inneren Küste von Asingea, die der Versunkenen Stadt zugewandt ist.«
    »Ptaath!« rief Kalisse aus.
    Ihre Blicke verschleuderten Dolche. Scida hielt sich zwischen ihr und dem Helden. Gerrek marschierte hinterdrein, nicht, ohne sich öfters umzudrehen und den Verbannten wilde Grimassen zu schneiden, das Drachenmaul weit aufzureißen und anzudeuten, wessen er mit seinen Fäusten fähig war.
    »Ich muß Luft ablassen.«, knurrte er dabei. »Irgendwann wird der Mann geboren werden, der begreift, daß auch Beuteldrachen Luft ablassen müssen… feurige Luft!«
    »Ausgerechnet ein Mann?« rief Kalisse. »Männer sind zu nichts anderem zu gebrauchen als…« Und wieder folgte eine sehr einseitig festgelegte Aufzählung der wenigen männlichen »Stärken«, wie sie sich für die Amazone darboten. Gerrek gab eine heftige Erwiderung. Sie stritten, bis die Hälfte des Weges zurückgelegt war, und Mythor dankte Erain dafür. Denn solange sie mit sich selbst beschäftigt waren, versuchten sie ihn nicht umzustimmen.
    Nur Scida warf ihm immer wieder unsichere Seitenblicke zu.
    Die Prozession erreichte die Kuppe eines Hügels, der die höchste Erhebung der Insel darstellte. Vor ihnen lag das Meer, noch ein Dutzend Steinwürfe entfernt. Das Land war nun schlammig. Schilfgras wuchs aus dunklem, stinkenden Boden. Tang legte sich bei fast jedem Schritt um die Füße der Gefährten und ihrer wortkargen Begleiter.
    Und dort, wo Land und Wasser zusammenstießen, erhoben sich dunkel und unheimlich die Ruinen eines offenbar uralten Tempels von silberglänzenden kleinen Wellen umspült.
    Mythor war stehengeblieben. Dorgele drehte sich zu ihm um. Einer der Inselbewohner stieß ihn leicht in den Rücken.
    »Geht weiter! Die Meermutter wartet auf euch!«
    »Kommt«, sagte Dorgele fast flehend.
    Mythor nickte den anderen zu. Wieder setzte der Zug sich in Bewegung. Eine Schlange aus flackernden Lichtern suchte sich ihren Weg durch Dunkelheit und Schlick zum Strand hinunter.
    »Es ist Ebbe«, murmelte Mythor. »Wahrscheinlich steht dies alles hier unter Wasser, wenn die Flut kommt.«
    »Das Land«, fügte Scida düster hinzu, »und die Tempelruinen.«
    Sie brauchte kaum deutlicher zu werden. Bei Ebbe gehörte der Tempel den Menschen – bei Flut den Tritonen.
    Mythor blickte sich um. Die Gesichter der Ausgestoßenen waren finsterer geworden. Die flackernden Fackeln in ihren Händen warfen dunkle Schatten auf ihre tief in den Höhlen liegenden Augen und zusammengepreßten Lippen.
    »Wenn sie uns dem Meervolk opfern wollen«, flüsterte Scida, »brauchen sie uns nur in die Ruinen zu sperren und auf die Flut zu warten. Ich wäre mir nicht sicher, daß es dann noch einen Fluchtweg gibt.«
    »Wir lassen es nicht soweit kommen«, versprach Mythor.
    Aber er mußte in diesen Tempel hinein. Ihm war, als hätte er die Ruinen schon einmal gesehen. In einem Traum?
    Von dort aus droht Gefahr. Er spürte es nun überdeutlich. Und diese Gefahr war eine andere als die von Scida angesprochene.
    Gute alte Scida, dachte er. Vielleicht würde sie mehr verstehen, eröffnete er sich ihr. Aber es genügte, wenn einer von ihnen mit seinen Gedanken abwesend war. Die anderen mußten doppelt wachsam sein.
    Die Prozession erreichte die Tempelruine. Das letzte Stück Weges war noch beschwerlicher. Die Füße versanken bis über die Knöchel im Schlamm, und mit jedem Mal wurde es schwerer, sie wieder herauszuziehen – fast als saugte sich der Boden an ihnen fest, um sie nie wieder freizugeben.
    Dorgele blieb kurz stehen. Einer der Verfemten kam und sprach leise mit ihr. Dabei deutete er heftig gestikulierend gen Osten, wo sich das rötliche Band der Morgendämmerung bereits zeigte.
    »Kommt«, forderte das Mädchen die Gefährten auf. Kalisse schien sich auf sie stürzen zu wollen, aber Mythor legte ihr eine Hand auf den Arm.
    »Warte noch«, flüsterte er. »Ich verspreche dir, daß wir kämpfen werden, sollte es notwendig werden – aber noch nicht jetzt.«
    Widerwillig gab sie sich damit zufrieden. Mythor, Scida, Kalisse und Gerrek folgten Dorgele in die Ruinen. Zwei verwitterte, mit Algen und Tang bedeckte starke Mauern, die an vielen Stellen bis zum Boden hin eingefallen waren, umgaben ringförmig den Mittelpunkt der

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