Das Nest des Teufels (German Edition)
teuer. Aber wir können stattdessen ans Meer gehen und eine Zigarre rauchen.»
«Ist der Fall Rytkönen jetzt abgeschlossen, nachdem derjenige, der die Tat gestanden hat, tot ist?», flüsterte Juri und zog mich wieder an sich. Ich antwortete, das wüsste ich nicht, und es gäbe auch keinen mehr, den ich fragen könnte. Als ich zum Sans Nom fuhr, sah ich in Gedanken Laitio an seinem Schreibtisch sitzen, eine Zigarre im Mund, den Revolver in Reichweite. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sich in der Wohnung der Familie erschossen hatte, denn als Polizist musste er wissen, welche Verheerung er anrichten würde. Wer hatte ihn gefunden, seine Frau? Laitio hatte seine Frau geliebt, auch wenn er sie abwechselnd als seine Alte oder als Weib tituliert hatte. Aber noch höher hatte er seine eigene Würde geschätzt. Musste sich ein Mensch so lange durch das Leben schleppen, wie es dauerte, nur weil nicht alle wählen konnten, wie lange sie auf Erden wandelten? Ein religiöser Mensch hätte gesagt, das liege allein in Gottes Hand. Aber bestimmte Gott nicht auch über Selbstmorde?
Zum Glück erreichten wir das Sans Nom, bevor mein Kopf endgültig durcheinander war, und dort ging es nur noch darum, ob Hummercocktail oder gratinierte Kammmuscheln die bessere Vorspeise für das Hochzeitsmenü seien und welcher Champagner am besten zu beiden passte. Monika sah mich während der Beratungen fragend an und sagte zum Schluss, ich sähe erschöpft aus. Ich erzählte ihr nicht, was mich bedrückte. Einen Zusammenbruch konnte ich mir jetzt nicht leisten.
19
In die Kirche schaffte ich es erst am Ostersamstag, zusammen mit Saara und Vanamo. Sie waren am Vorabend aus Kuopio gekommen und wollten Helsinki besichtigen. Der Dom stand auf ihrer Liste, und sie stellten keine Fragen, als ich eine Kerze anzündete und mit gesenktem Kopf davor stehen blieb. Ich hatte keine Ahnung, ob man dabei etwas sagen oder zum Beispiel ein lautloses Gebet hätte sprechen sollen. Ich wusste nicht einmal, ob Laitio selbst an irgendeine Macht geglaubt hatte, die über dem Menschen stand. Er hatte mich so oft überrascht, dass ich es nicht mehr wagte, ihm irgendwelche Auffassungen zuzuschreiben.
Für Saara und Vanamo waren Kirchen und Gebetshäuser vertraute Orte. Sie ahnten nicht, dass ich etwas bei mir hatte, das absolut nicht in eine Kirche passte: Ich trug meine Glock im Holster. Frau Voutilainen hatte mir am Freitagabend am Telefon erzählt, ein Mann, der seinen Namen nicht genannt hatte, habe sie angerufen und mich sprechen wollen. Er hatte gefragt, ob ich noch in dem Haus wohne. Der Mann habe eine heisere Stimme gehabt und so geklungen, als sei er es nicht gewohnt, viel zu sprechen. Ich war mir sicher, dass es sich um Keijo Kurkimäki handelte, dem man Hafturlaub gewährt hatte. Frau Voutilainen hatte behauptet, sie wisse nur, dass ich vor langer Zeit ausgezogen war.
Saaras Eltern mussten gewarnt werden, womöglich kehrte Kurkimäki an den Ort seines Verbrechens zurück. Auf ihrem Bauernhof gab es wohl mindestens ein Jagdgewehr, mit dem sie sich notfalls verteidigen konnten. Als ich die zarte, aber für ihr Alter große Vanamo zur Orgelempore des Doms gehen sah, hoffte ich, dass ihre Mutter und ihre Großeltern im Zweifelsfall nicht die andere Wange hinhalten, sondern das Mädchen mit allen Mitteln schützen würden. Gab es in Tuusniemi Selbstverteidigungskurse für Kinder? Das wäre das Richtige für Vanamo.
«Warum hast du deine Tochter eigentlich Vanamo genannt? Das heißt doch Moosglöckchen?», fragte ich, als wir die Kirche verlassen hatten und zum Anleger der Fähre nach Korkeasaari gingen. Es war fast sommerlich warm, und Vanamo wollte die wilden Tiere auf der Zooinsel sehen. Ich hatte mich bereit erklärt, mitzukommen, obwohl ich wusste, dass ich spätestens beim Luchsgehege Zustände kriegen würde.
«Die Moosglöckchen blühten gerade um die Zeit, als sie geboren wurde. Ich habe noch am Tag vor ihrer Geburt einen kleinen Spaziergang im Wald gemacht und sie bewundert. In der Vase gehen sie sofort ein. Deshalb muss man sie da anschauen, wo sie wachsen.»
«In der Nähe von Hevonpersiinsaari gibt es auch einige Stellen, wo viele Moosglöckchen wachsen. Ich habe ein paarmal welche gepflückt, bis ich gemerkt habe, dass sie sich in der Vase nicht halten.»
«Man vergisst oft, dass auch die Menschen so sind wie die Pflanzen, sie brauchen den richtigen Ort, um zu blühen und zu gedeihen. Ich verstehe nicht, warum man die Menschen unbedingt
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