Das Netz der Chozen
Monster!« Die letzten Worte sagte sie so sachlich, so ohne jede Gefühlsregung, daß uns allen ein Schauer über den Rücken lief, selbst Marsha.
»Sie ist verrückt«, sagte George, und ich mußte ihm zustimmen.
»Fesseln Sie sie wieder«, sagte ich zu George. »Damit sich so etwas nicht wiederholt.«
George tat es und wickelte die Frau vom Hals bis zu den Knöcheln in silbern schimmernde Fäden. Marsha sah ihm dabei mit einer Mischung von Entsetzen und Faszination zu.
George warf ihr einen raschen Blick zu. »Und was ist mit ihr?«
Ich dachte einen Moment lang nach und seufzte. »Marsha?«
sagte ich zu ihr. Sie blickte unsicher zu George und mir. Sie wußte nicht, wer sie angesprochen hatte, und da George und ich für sie gleich aussahen, konnte sie mich nicht identifizieren.
»Ins Oberdeck«, sagte ich.
Sie blickte mich an.
»Nadya hat ihre Entscheidung getroffen«, sagte ich leise, be-hutsam. »Es tut mir leid, aber ich kann nichts daran ändern. Was ist mit Ihnen?«
Sie schien noch immer im Schock zu sein, aber sie dachte jetzt nach.
»Ich . . . ich weiß nicht...«, sagte sie unsicher, »aber... ich will nicht sterben, Bar Holliday. Ich will noch nicht sterben.«
Ich atmete erleichtert auf.
»Dann kommen Sie zu uns«, sagte ich aufmunternd. »Es ist wirklich nicht schlimm. Unser Leben hat sogar ein paar erhebliche Vorteile.«
»Ich will es versuchen«, flüsterte sie.
Auf die Sekunde zu dem vorher festgelegten Zeitpunkt tauchten wir aus dem L-Sprung auf, und ich hatte mich noch immer nicht auf der Nijinski umgesehen. Marsha hatte sich jetzt etwas gefangen, weigerte sich aber immer noch zu essen, obwohl ihr Hungergefühl jetzt übermächtig geworden sein mußte. Ich kannte diesen Zustand schließlich aus eigener Erfahrung. Doch es war nur natürlich, daß sie, wie alle Menschen, das Unvermeidliche möglichst lange aufschob.
Ich machte einen Scan von dem umliegenden Raum. Der Computer brauchte ein paar Sekunden, um den richtigen Quadranten einzustellen. Der Frachter besaß keine so komplizierte Anlage; er kannte nur die normalen Routen und die Relaisstationen. Mein Computer aber konnte überall eine Ortsbestimmung durchführen, auch weit abseits der normalen Routen, solange wir uns innerhalb des erforschten Raums befanden. So weit draußen gab es natürlich keine besiedelten Planeten, und bis zur nächsten Relaisstation waren es drei Lichtjahre.
Ich war zufrieden. Für eine Weile waren wir in Sicherheit. Hier würde kaum jemand über uns stolpern, und es gab auch keine Sonnensysteme in der Nähe, deren Anziehungskräfte mich eine Menge Energie kosten konnten. Wir hatten also freie Hand in der Kurswahl.
Eine Wahl aber hatten wir nicht mehr bei Nadya.
Sie war wahnsinnig geworden, redete unzusammenhängendes, wirres Zeug, hatte Schaum vor dem Mund und schrie von Monstern, die sie fressen würden.
Es kostete uns einige Mühe, sie zu bewegen. Wir schafften es erst, als wir sie völlig eingesponnen, sie in einen Kokon verwandelt hatten, der sich rollen ließ. Dann schoben wir sie mühsam die Stufen hinauf ins Oberdeck und rollten sie durch die Schleusen in die Nijinski. George blieb unten und bewachte Marsha, Ham und Eva halfen mir bei meiner unangenehmen Aufgabe. Mir gefiel das gar nicht. Und ich konnte es auch Ham und Eva nicht ersparen. Allein konnte ich es nicht schaffen, und George wollte ich nicht um Hilfe bitten, weil ich mir nicht traute, Eva allein die Bewachung Marshas zu überlassen, und bei Ham war ich nicht sicher, ob er sich nicht zu irgendeiner Dummheit hinreißen lassen würde.
»Wir sollten das mit der anderen auch machen«, grunzte er, als wir Nadya in das andere Schiff transportierten. »Wir sollten nicht zulassen, daß irgendein Mensch zu uns gehört. Selbst als Chozen bleiben sie im Grunde genommen immer Menschen.«
»Langsam, langsam«, sagte ich scharf. »Oder würdest du mich am liebsten auch in den Raum stoßen? Ich bin schließlich auch mal ein Mensch gewesen.«
Er blickte mich überrascht an. Wenn die ganze Welt aus zwei Decks eines Raumschiffs und vier Leuten besteht, schließt man die nicht in seine Vorurteile über Außenseiter ein.
»Mein Gott! Das ist ja wahr! Aber du bist anders, Bar!«
»Das bin ich nicht«, sagte ich. »Ich bin genau so wie Marsha, nur etwas erfahrener, etwas besser trainiert. Nicht, was draußen ist, zählt, Ham, nur was du in dir trägst.«
Eva blickte Ham herausfordernd an. »Siehst du? Du denkst eben nicht nach. Das ist dein größter
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