Das Netz Der Grossen Fische
Sitzung unterbrechen. Damit hatte keiner gerechnet. Ich habe vier oder fünf ganz interessante Stellungnahmen eingefangen. Die schneide ich heute Nachmittag und zeig sie dir dann. Und jetzt gehe ich hier noch mit den Abgeordneten Nicòtera und Prosapiano zum Mittagessen.«
»Hör mal, Alfio hat mich angerufen, er kommt nicht zum Mittagessen, und am Nachmittag hat er zu tun. Wollen wir die Gelegenheit nutzen?«
»Das Problem ist, dass etwas Unerwartetes dazwischengekommen ist, etwas ziemlich Wichtiges, und daher ist es vielleicht besser, wenn ich …«
»Schon verstanden. Du lässt mich also am ausgestreckten Arm verhungern.«
»Verhungern? Nach dem, was wir noch bis heute Morgen getrieben haben, ehe wir uns getrennt haben?«
Sie lachte auf ihre besondere Art. Und schon war er versucht, alles zum Teufel zu schicken, nur um sie wiederzusehen.
Sechs
»Ist Alfio zurück?«, fragte er Cate, gleich nachdem er um halb fünf ins Büro zurückgekehrt war.
Er war in einer Buchhandlung gewesen, um ein Buch über mittelalterliche Geschichte als Geschenk für Carlo zu kaufen, Mariellas Mann, der Dozent an der Universität war. Ihr selber wollte er gleich am nächsten Morgen einen Strauß Rosen schicken.
»Ja, er ist im Schneideraum.«
»Gibt’s was Neues?«
»Alletto hat schon zweimal versucht, Sie zu erreichen.«
»Hat er dir nicht gesagt, was er wollte?«
»Nein, er bittet um Rückruf.«
»In Ordnung, dann verbinde mich mit ihm.«
Giacomos Stimme klang belegt.
»Was ist mit dir los? Bist du erkältet?«
»Nein, ich spreche nur leise. Ich bin in der Cafébar Di Nunzo in der Via Crispi zehn.«
»Ist die Sache denn so wichtig, dass du …«
»Direttore, so auf die Schnelle kann ich das nicht erklären, aber es ist wirklich wichtig. Sonst hätte ich mir nicht erlaubt …«
»Na, dann schieß mal los.«
Alletto war ein realistischer Mensch, der keinen Hirngespinsten hinterherjagte, sondern mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand. Wenn er ihn sprechen wollte, musste es sich um etwas Ernstes handeln.
»Direttore, vor einer Stunde bin ich auf dem Weg in die Redaktion hier vorbeigekommen. Ich habe gesehen, wie ein Polizeiauto angeschossen kam, Commissario Bonanno eilig ausstieg, das Auto wieder wegfuhr und der Commissario das Haus Nummer sieben betrat. Das hat meine Neugier geweckt und ich habe mein Auto geparkt und bin zu der Tür von Haus Nummer sieben gegangen, um die Namen an der Sprechanlage zu lesen. Wissen Sie, wer da wohnt? Giovanni Resta.«
»Und was wollte Bonanno bei Resta?«
»Das frage ich mich ja auch. Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Wissen Sie, wer vor einer halben Stunde hier eingetroffen ist? Der Questore persönlich.«
»Der Polizeipräsident?! Dann hat es vielleicht mit Restas Besuch beim Staatsanwalt Di Blasi heute Vormittag zu tun.«
»Direttore, Resta ist nicht zu Di Blasi gegangen, wie er im Fernsehen angekündigt hatte. Er hat nämlich bei der Staatsanwaltschaft angerufen und das Treffen auf den Nachmittag verschoben. Das weiß ich ganz sicher.«
»Um was geht es hier eigentlich?«, platzte Caruso heraus.
»Ich sitze an einem Tisch in dieser Bar, hinter einer Glasscheibe, und direkt gegenüber von mir ist die Haustür von Nummer sieben. Warten Sie, der Questore ist gerade herausgekommen und fährt jetzt in dem Auto weg, das auf ihn gewartet hat.«
»Kennst du Resta?«
»Nicht sonderlich gut. Mir sind nur ein paar Daten bekannt. Er ist verheiratet, hat eine fünfjährige Tochter, seine Frau istÄrztin. Warten Sie! Bonanno steht gerade an einem Fenster im vierten Stock, er schaut nach rechts und nach links. Er dreht sich hektisch um und spricht aufgeregt in Richtung des Zimmers hinter ihm. Jetzt schaut er wieder aus dem Fenster. Die Tür ist aufgegangen, Resta kommt verzweifelt herausgerannt! Ich geh mal nachsehen, was da los ist.«
Er musste das Handy eingeschaltet gelassen haben, denn Michele hörte gedämpften Lärm, ein rhythmisches Rauschen und dazwischen wiederholtes Hupen. Offensichtlich lief Alletto dem verzweifelten Resta auf der Straße nach. Dann, ganz deutlich und nahe, das Weinen einer jungen Frau.
Stimmengewirr, das Weinen hörte auf, man vernahm deutlich die Stimme Allettos, der fragte:
»Was ist denn passiert?«
»Ich stand hinter dem Ladentisch«, sagte eine Frauenstimme. »Ich hatte gerade das Geschäft aufgemacht, da blieb ein Herr vor der Glastür stehen, der ein kleines Mädchen an der Hand hielt. Er sagte zu ihr: ›Warte
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