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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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beide Räume nahe dem Treppenhaus. Da nach Ertönen des Alarms die Mitarbeiter aus den tiefer gelegenen Ebenen den Fahrstuhl mit Beschlag belegt hatten, entschied sich die Tischgemeinschaft aus dem Speisesaal für den körperlich anstrengenderen Weg. Diesem Umstand verdankten sie dann auch ihr frühes Eintreffen im Besprechungsraum.
    DiCampo saß schon am Ende des langen Tisches. Sein Gesicht war aschfahl. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt, wirkte müde und abwesend. Als Agaf neben ihn trat und nach dem Grund des Alarms fragte, reichte der Italiener ihm nur einige Papiere. Er sah den Leiter des Einsatzteams dabei nicht einmal an.
    »Es gibt einen neuen Vorfall«, eröffnete Agaf die Sitzung, nachdem das Cyberworm-Team so gut wie vollzählig angetreten war. Dann hob er DiCampos Blätter hoch, legte die Stirn in Falten und fasste die Berichte zusammen.
    Kurz vor Tokio war ein Shinkansen-Express auf ein Abstellgleis gerast. Das Unglück ereignete sich während des abendlichen Berufsverkehrs. Der Hochgeschwindigkeitszug war, wie zu dieser Zeit üblich, zum Bersten voll gewesen. Die Zahl der Opfer übersteige bei weitem jene der letzten Katastrophe in New York. Nach dem vorläufigen Schadensbericht der Experten sei das Desaster auf die Fehlschaltung zweier computergesteuerter Weichen zurückzuführen.
    Agaf blickte kurz von dem Blatt auf, bevor er es nach hinten nahm und auf die zweite Meldung einging.
    Dieselbe Ursache – ein Computerfehler – werde auch für das Unglück am Drei-Schluchten-Staudamm in China verantwortlich gemacht. Von der automatischen Steuerung seien ohne erkennbaren Grund sämtliche Ablassventile vollständig geöffnet worden. Die Folge davon sei ein drastischer Anstieg des Jangtsekiang, der zur Stunde noch anhielte. Derzeit bemühe man sich, die Abläufe manuell zu schließen. Dabei hätten sich jedoch weitere Schwierigkeiten eingestellt, die möglicherweise darauf zurückzuführen seien, dass die Schotte unter dem immensen Wasserdruck zu schnell geöffnet worden waren. Experten gingen von Schäden in Milliardenhöhe aus, falls das Problem nicht rechtzeitig behoben werde. Der Drei-Schluchten-Damm staue das Wasser des größten Stromes Asiens auf einer Länge von nicht weniger als sechshundert Kilometern in einem Tal auf, das durchschnittlich nur einen Kilometer breit sei. Niemand könne sich wohl wirklich vorstellen, welche Gewalt eine entfesselte Flussbestie derartigen Ausmaßes entfalten würde.
    »Ich habe hier noch einige andere Berichte, die weniger spektakulär sind«, schloss der Afrikaner seine Zusammenfassung mit bitterer Miene.
    Er ließ die Zettel über den langen Tisch gleiten, damit sich jeder seine eigene Dosis Nervenkitzel holen konnte.
    Stella schob einige der Blätter, die vor ihr liegen geblieben waren, angewidert von sich weg. Ihr war übel geworden. Was hatte sie da nur ausgelöst!
    Während Agafs Augen auf DiCampo lagen, fasste er seine Eindrücke zusammen. »Damit dürften sich die Hoffnungen einiger von uns ja wohl endgültig zerschlagen haben. Offenbar hat Mark mit seinen Bedenken Recht gehabt. Der Cyberwurm hat nur geschlafen. Er hat in Tausenden von Computern geschlummert – womöglich aufgesplittert in kleinste Fragmente, die kein Virenscanner entdeckte und kein Schutzprogramm als gefährlich ansah. Doch jetzt, nach dem Einschalten der Maschinen, ist das Monstrum wieder erwacht, aggressiver und Tod bringender denn je.«
    Zum ersten Mal meldete sich nun wieder DiCampo zu Wort. Er hob träge den Kopf und schnarrte: »Was soll das, Mr. Nbugu? Sie tun ja gerade so, als hätten wir es hier nicht mit Terroristen, sondern mit einem eigenständig handelnden Wesen zu tun.«
    »Vielleicht hätten wir auch von Anfang an den Cyberwurm genau als das ansehen sollen«, sprang Salomon für seinen afrikanischen Freund in die Bresche. »Kennen Sie das ›Modell der zellulären Automaten‹, Dr. DiCampo?«
    »Verschonen Sie mich bitte mit Ihren theoretischen Exkursen. Danach steht mir im Moment wirklich nicht der Sinn.«
    Salomon ignorierte die Bemerkung des Italieners. »John von Neumann hat sich da in den frühen fünfziger Jahren ein paar interessante Gedanken gemacht, die uns bei der Suche nach dem Cyberwurm von Nutzen sein könnten. Von Neumann war Mathematiker und Computerkonstrukteur. Er legte in seinem Modell die Grundbedingungen für die selbstständige Vermehrung von Maschinen fest. Dabei zog er interessante Parallelen zu lebenden Organismen wie Pflanzen, Tieren und eben

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