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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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weiterer Räume. Jede einzelne Tür sah genauso aus wie die andere, aber man konnte nie wissen, was sich dahinter verbarg. Als Stella vorsichtig die nächste Tür aufstieß, bekam sie einen Riesenschreck.
    Vor ihr stand eine dunkle Gestalt. Für den Lindwurm war sie zu klein. Es schien sich eher schon um einen der Wachleute zu handeln, denen sie schon mehrmals begegnet war.
    »Wer seid Ihr?«, fragte sie, die Speerspitze auf den Schatten gerichtet.
    Der ließ sich davon nicht irritieren. »Ich bin nur der Tempelarchivar.«
    Sofort kam Farbe und Form in den Schemen. Vor Stella stand ein ziemlich dünner Mann mit grauem lichtem Haupthaar. Er war in ein faltenreiches Gewand gehüllt, eine Art Kutte, an der Taille mit einem Strick gegürtet. Die graugrünen Augen des Archivars blickten unruhig. Sie weilten nie länger als einen Wimpernschlag auf Stella, um sich sogleich wieder irgendwelchen anderen Dingen hinter dem Mädchen zuzuwenden.
    »Wenn dir etwas Verdächtiges auffällt, schlägst du Alarm«, raunte Stella ihrem Pelzkragen zu.
    »Was habt Ihr gesagt?«
    »Nichts, nur so eine Angewohnheit von mir«, entgegnete Stella.
    »Seid Ihr mit den Barbaren in die Stadt gekommen?«, fragte der Archivar ängstlich. Er war sehr groß und hatte eine merkwürdig geduckte Haltung.
    »Ja, ich meine, nein… Es ist gar nicht so leicht, das zu erklären. Wenn Ihr meint, ob ich zu ihnen gehöre: nein. Ich verabscheue, was sie Eurer Stadt antun. Ich war schon früher einmal hier.«
    »In Masinof?«
    »In diesem Tempel.«
    Die Augen des Archivars wanderten argwöhnisch über Stellas Speer. »Ihr seht nicht gerade wie eine Priesterin aus.«
    »Das bin ich auch nicht. Euer Kult ist mir nicht geheuer, wenn ich das so offen sagen darf. Ich bin hier, weil ich den Lindwurm suche.«
    Neue Furcht flackerte im Gesicht des Mannes auf. Noch einmal blickte er ängstlich in den großen Tempelraum hinaus. Dann forderte er Stella eilig auf: »Kommt, tretet ein, ich habe Euch schon erwartet.«
    »Wie könnt Ihr…?« Stella traute ihren Ohren nicht. Hatte er sie etwa schon bei ihrem ersten Besuch heimlich beobachtet und gehofft, sie kehre noch einmal zurück? Möglich wäre es immerhin. Und es hatte ihn offenbar gar nicht überrascht, dass sie die Jagd nach dem Drachen hierher geführt hatte. Ein weiteres Rätsel!
    Der Raum, in dem sich nun Stella, ihr stummer Pelzkragen und der Archivar aufhielten, war eine große Bibliothek. Zahlreiche Regalreihen wuchsen bis in Schwindel erregende Höhe. An der Außenwand des Gebäudes befanden sich farbige Fenster, die ein zauberhaftes Licht verbreiteten.
    »Wie habt Ihr das gemeint: Ihr hättet mich bereits erwartet?«, fragte Stella, nachdem der Archivar sie zu einer der hinteren Regalreihen geführt hatte.
    »Einige von uns haben schon früh von der Annäherung Enesas erfahren. Zunächst waren wir verzweifelt über diese ernste Gefahr, aber dann hörte ich von einem Freund, es gebe noch Hoffnung für uns.«
    »Ein Freund? Dient er auch in diesem Tempel?«
    »Das darf ich Euch nicht verraten. Sein Name ist ein Geheimnis. Nennen wir ihn der Einfachheit halber ›den Kopf‹.«
    »Hat ›der Kopf‹ seine Zuversicht irgendwie begründet?«
    »Das hat er tatsächlich. Er nannte mir den Namen eines Mädchens, das vielleicht unsere Hilfe benötigen werde, um Masinof die Freiheit zurückzugeben und darüber hinaus eine noch viel größere Bedrohung abzuwenden. Jetzt seid Ihr hier und sprecht von dem Lindwurm aus unseren düstersten Legenden. Ihr seid doch diese Stella, oder etwa nicht?«
    Doch, sie war es. Aber das beunruhigte Stella zunächst mehr, als dass sie daraus Hoffnung schöpfte. Ehe sie noch recht wusste, wie ihr geschah, hatte sie auch schon die verräterische Frage gestellt: »Gehört Ihr dem Bund des Lindwurms an?«
    »Ihr wisst von dem Bund?«, hauchte der Archivar überrascht. Seine Augen waren weit aufgerissen, aber es lag nicht Furcht, sondern eher Freude darin.
    Stella verwünschte sich für ihre Unvorsichtigkeit. Aber jetzt, wo sie schon so weit gegangen war, konnte sie auch die ganze Wahrheit herauslassen. »Ich selbst handle in seinem Auftrag. Ich muss den Lindwurm finden, bevor es die Häscher Enesas tun. Könnt Ihr mir dabei helfen?«
    Der Archivar rieb sich nachdenklich das von einem dünnen grauen Flaum bedeckte Kinn. »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete er zögernd.
    »Möglicherweise kennt Ihr ja das Schattenwort… Ich meine, habt Ihr schon einmal etwas von ›Bereshit‹

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