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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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wann hatte es die Farbe gewechselt? Oder war es das Licht vom Fenster, das es jetzt violett, grün und blau erscheinen ließ? Mein Kopf schmerzte. War es Sommer, Winter oder Herbst? Ich wollte zum Fenster laufen und die Bäume betrachten, denn sie waren die einzigen, die nicht lügen würden.
    Ich hörte die Erwachsenen reden, aber ich versuchte, sie nicht zu verstehen. Dann ging Mammi zum Klavier hinüber und setzte sich, um all die Kirchenlieder zuspielen, die Tante Mercy Marie gern sang. Immer wenn meine Mutter sich ans Klavier setzte, geschah etwas Verblüffendes : Sie trat auf wie auf einer Bühne, als würde ihr bald ein großes Publikum applaudieren. Ihre langen, schlanken Finger zögerten dramatisch über den Tasten, sausten dann herab und schlugen einen Akkord an, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie spielte und sang so wunderschön und traurig, daß ich am liebsten geweint hätte. Auch meine Tante fing an zu singen, aber ich konnte nicht einstimmen. Irgend etwas in mir wollte schreien, schreien! Das alles war falsch. Gott war nicht da oben. Er kam nicht, wenn man ihn brauchte…er war nie gekommen und würde auch nie kommen.
    Mammi sah meine Tränen und wechselte abrupt das Tempo. Diesmal spielte sie ein Lied im Rockrhythmus, sang dabei und wiegte sich hin und her, so daß ihr Busen zitterte.
    Meine Tante aß Kuchen. Entmutigt verließ meine Mutter das Klavier und setzte sich wieder aufs Sofa.
    Verwirrt fuhr mein Kopf herum, als ich die Stimme vom Klavier her etwas sagen hörte. Ich wollte Tante Elsbeth dabei erwischen, daß sie den Mund bewegte, aber als ich sie ansah, nippte sie an ihrem heißen Tee. Ich wußte, daß er einen guten Schuß Bourbon beinhaltete genau wie Mammis Tee. Vielleicht war es der Alkohol, der sie so grausam werden ließ. Ich wußte nicht, ob sie Tante Mercy Marie gemocht hatten, als sie noch lebte, oder ob sie sie verabscheut hatten. Ich wußte nur, daß sie sich gern darüber lustig machten, wie sie ihrer Meinung nach ums Leben gekommen war. Sie glaubten Papa nicht, der mir mehr als einmal erklärt hatte, daß Tante Mercy Marie vielleicht irgendwo als Frau eines afrikanischen Häuptlings lebte.
    »In primitiven Gesellschaften sind dicke Frauen sehrbeliebt«, erzählte er mir. »Sie verschwand einfach zwei Wochen nach ihrer Ankunft dort unten. Glaub nicht alles, was du hörst, Audrina.«
    Das war mein größtes Problem–was ich glauben sollte und was nicht.
    Kichernd schenkte Mammi noch ein bißchen Tee in ihre und Tante Elsbeths Tasse. Dann griff sie nach einer Kristallflasche mit der Aufschrift ›Bourbon‹ und machte die Tassen voll. Erst dann entdeckte sie Vera. »Vera«, sagte sie, »möchtest du auch eine Tasse heißen Tee?«
    Natürlich wollte Vera. Aber sie verzog wütend das Gesicht, als kein Bourbon dazugemischt wurde.
    »Wieso bist du schon so früh aus der Schule zurück?« erkundigte sich meine Tante in scharfem Ton.
    »Es war Lehrerversammlung, und alle Schüler wurden früher als gewöhnlich heimgeschickt.«
    »Vera, sei ehrlich in der Gegenwart der lebenden Toten«, kicherte meine Mutter, die inzwischen fast betrunken war. Vera und ich wechselten Blicke. Dies war einer der seltenen Augenblicke, in denen wir uns wirklich verstehen konnten.
    »Was treibst du denn, um dich zu amüsieren, Elsbeth?« fragte meine Mutter mit der hohen, schrillen Stimme, die sie annahm, wenn sie für Tante Mercy Marie sprach. »Du mußt dich doch auch manchmal langweilen, so abgeschieden von der Welt und ohne Freunde. Du hast schließlich keinen hübschen Ehemann, der dich in deinem kalten, einsamen Bett warm hält.«
    »Also wirklich, Mercy«, antwortete meine Tante und blickte direkt in die Augen auf dem Foto, »wie könnte ich mich langweilen? Wo ich doch mit so faszinierenden Menschen wie meiner Schwester und ihrem Börsenmakler-Mann zusammenlebe, die es beide lieben,in ihrem Schlafzimmer miteinander zu kämpfen, bis einer von ihnen schreit. Ehrlich gesagt, ich fühle mich in meinem einsamen Bett ziemlich sicher, auch ohne einen gutaussehenden brutalen Mann, der seinen Gürtel gern als Peitsche einsetzt.«
    »Elsbeth, wie kannst du meiner besten Freundin solchen Unsinn erzählen? Damián und ich spielen miteinander, das ist alles. Das erregt ihn und mich.«
    Mammi lächelte dem Foto entschuldigend zu. »Leider weiß Elsbeth überhaupt nichts von den vielen Dingen, die einen Mann erfreuen können.«
    Meine Tante schnaubte verächtlich. »Mercy, ich bin überzeugt, du hast niemals

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