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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Satinherzen kam sie in mein Zimmer. Sie öffnete das Herz und zeigte mir eine Fülle köstlicher Pralinen. »Von dem Jungen, der mich am meisten liebt«, erklärte sie mir hochmütig und riß die Schachtel an sich, ohne mir auch nur eine einzige Praline anzubieten. »Eines Tages wird er mich von hier fortholen und mich heiraten. Es steht in seinen Augen geschrieben, diesen herrlichen, bernsteinfarbenen Augen. Er zieht bald–nun, ist ja egal, wohin er zieht. Aber er liebt mich. Ich weiß, daß er mich liebt…«
    »Was sagtest du? Wie alt ist er?«
    »Was bedeutet das schon?«
    Sie setzte sich auf mein Bett und griff erneut in die Pralinenschachtel, wobei sie mir einen seltsamen Blick zuwarf. »Ich kann zehn, zwölf, vierzehn, sechzehn sein, jedes Alter. Denn ich habe den Zauber der ersten Audrina, der unvergessenen und perfekten, schönsten Audrina. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste Audrina im Land? Und der Spiegel antwortet: Du bist es, Vera, du. «
    »Du bist verrückt«, sagte ich und wich zurück. »Und du kannst den Zauber gar nicht haben, denn er gilt nur für Mädchen mit meinem Namen. Papa hat mir das gesagt.«
    »Ach, Papa würde dir doch alles erzählen. Und du bist dumm genug, es zu glauben. Ich werde niemals so dumm sein. Meine Mutter war dumm genug, sich von einem süß daherschwatzenden Knaben überreden zu lassen, mit ihm ins Bett zu gehen, aber mir wird so etwas nicht passieren. Wenn jemand verführt, dann werde ich es sein, die verführt. Ich weiß schon, wie. Dieses Medizinbuch verrät mir alles, was ich wissen muß. Dieser dumme Aufklärungsunterricht in der Schule bietet ja überhaupt keine Tatsachen.«
    Bald hatte sie alle Pralinen aufgegessen und gab mir das leere Herz aus rotem Satin. Aus irgendeinem Grund rührte es mich. Wie nett von dem Jungen, Vera so etwas zu schenken. Ich hatte nicht gewußt, daß Vera in irgend jemandem Liebe entfachen konnte, da sie es ja nicht einmal bei ihrer eigenen Mutter vermochte.

Löwen und Lämmer
    Eines Tages hörte ich, wie der Bote eines Bekleidungsgeschäfts zu Mammi sagte: »Ist heute nicht ein herrlicher Frühlingstag?«
    Sonst hätte ich vielleicht überhaupt nicht erfahren, daß Frühling war, so kalt war es. Die Bäume hatten noch nicht ausgeschlagen, die Vögel sangen nicht. Ich genoß es, zumindest die Jahreszeit zu wissen, wenn auch nicht den Monat. Aber ich schämte mich zu sehr, um zu fragen, welchen Monat wir hatten, und zu riskieren, daß die Leute mich mitleidig anstarrten. Es war nichts Tolles und Besonderes, nichts über die Zeit zu wissen–es war verrückt. Vielleicht schämten sie sich deshalb, mir zu sagen, warum die erste Audrina gestorben war. Vielleicht war sie auch verrückt gewesen.
    Ich riskierte die Verachtung des Lieferanten, lief hinter ihm her und stellte meine alberne Frage: »Nun, wir haben März, Mädel. Er stürmt herbei wie ein Löwe, und bald verläßt er uns wieder so sanft wie ein Lamm.«
    Es war kalt, der Wind blies heftig, und das konnte ich alles leicht mit einem Löwen in Verbindung bringen. Als ich am nächsten Tag aufwachte, schien die Sonne, Eichhörnchen und Kaninchen hüpften über unseren Rasen, und die Welt war in Ordnung, wenn man Papa und Mammi Glauben schenken konnte.
    Das Abendessen am nächsten Tag endete damit, daß Papa Vera anfuhr: »Verschwinde aus der Küche! Man hat mir erzählt, daß du dabei erwischt worden bist, wie du im Drugstore schmutzige Bilder ausgeschnitten hast. Wenn ein Mädchen auf diese Weise stiehlt, dann steht fest: Wo Rauch ist, ist auch Feuer!«
    »Ich habe nichts getan, Papa!« schluchzte Vera.
    Später, in meinem Zimmer, fuhr sie mich an: »Gott hat mich mit zerbrechlichen Knochen und dich mit einem zerbrechlichen Hirn gestraft. Aber von beidem ist mir mein Schicksal noch immer lieber!«
    Aber dann weinte sie. »Papa liebt mich nicht, wie er dich liebt…Ich hasse dich, Audrina, ich hasse dich wirklich.«
    Ich war verblüfft. Ich war Papas Kind. Da war es doch nur natürlich, daß er mich am liebsten hatte. Ich versuchte, ihr das zu erklären. »Ach, du«, kreischte sie. »Was weißt du denn schon? Du bist verwöhnt und verhätschelt, als wenn du zu gut für diese Welt wärest…Aber warte nur ab, am Ende bin ich es, die gewinnt!«
    Entschlossen, etwas zu unternehmen, ging ich zu Papa, der aus irgendeinem Grund schrecklich aufgeregt zu sein schien. Er marschierte im neurömischen Salon auf und ab und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf seine Armbanduhr.

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