Das Netz
Ellbogen k. o. geschlagen hatte, kam langsam wieder zu sich. Paula fand es bezeichnend, dass er sich kein einziges Mal nach ihnen umsah.
Kurz vor Brescia änderte sich die Landschaft. In der Ferne ragten sanfte Hügelkuppen aus dem Dunst hervor. Beaurain gab Paula ein Zeichen und stand auf. Auch sie nahm daraufhin ihren Koffer und ging hinter Beaurain zu der noch geschlossenen Waggontür. Es dauerte nicht lange, bis sich der Mann mit dem breitkrempigen Hut zu ihnen gesellte. Paula sah aus den Augenwinkeln, dass sein Kinn ganz blau und geschwollen war. Beaurain war nicht gerade zimperlich gewesen.
Der Zug verlangsamte die Fahrt, fuhr in den Bahnhof ein und blieb schließlich stehen. Nachdem sich die Türen zischend geöffnet hatten, wollte Beaurain dem Mann mit dem Hut den Vortritt lassen, aber der bestand darauf, dass er und Paula zuerst aussteigen sollten.
Dieses Spiel ging einige Male hin und her, sodass Paula es schon fast lustig fand. Nun fiel auch ihr der Empfänger auf, den der Mann im Ohr hatte. Dann hörte sie, wie der Stationsvorsteher unten auf dem Bahnsteig mit seiner Trillerpfeife das Zeichen zur Abfahrt gab. Kurz bevor die Tür sich automatisch schloss, gelang es Beaurain, den Mann mit einem entschlossenen Stoß aus dem Waggon zu schubsen. Der war so verblüfft, dass er sich nicht mehr festhalten konnte und kopfüber auf den Bahnsteig stürzte. Die Tür ging zu, und der Zug nahm Fahrt auf.
»Hoffentlich hat er sich nicht verletzt«, sagte Paula, als sie sich wieder auf ihre Plätze setzten.
»Ehrlich gesagt, das ist mir egal«, entgegnete Beaurain.
»Sie waren vorhin auf der Toilette. Haben Sie dort die Wanze entsorgt?«
»Kluges Mädchen. Ja, ich habe sie erst zertreten und dann hinuntergespült. Den Burschen wären wir los, aber ich bin mir sicher, dass er nicht der Letzte war, den man uns auf den Hals hetzt.«
Kurze Zeit später kam ein Zugbegleiter mit einem Imbisswagen vorbei. Paula kaufte sich ein Schinkenbrötchen und einen Pappbecher Kaffee. Das Brötchen aß sie so schnell, dass Beaurain nur den Kopf schütteln konnte.
»Wie können Sie nach der Polenta von heute früh bloß schon wieder hungrig sein?«
»Ich muss bei Kräften bleiben. In Verona wird man bestimmt nicht zimperlich mit uns umgehen.«
»Da könnten Sie durchaus Recht haben.«
Die Hügel draußen kamen Paula jetzt viel höher vor als aus der Entfernung.
»Das sind die ersten Ausläufer der Dolomiten, die man von hier aus allerdings nicht sehen kann«, sagte Beaurain. »Vor unserer Abfahrt habe ich im Hotel gelesen, dass in den Bergen ziemlich viel Schnee gefallen sein soll. In Verona wird es also bestimmt kalt sein.«
Der Zug verlangsamte die Fahrt und blieb schließlich auf freier Strecke stehen. Beaurain sah auf seine Uhr und schüttelte den Kopf, während Paula eine plötzliche Müdigkeit überkam. Sie schloss die Augen und wachte erst wieder auf, als sich der Express erneut in Bewegung setzte. Draußen ging langsam die Sonne unter.
»Oh, entschuldigen Sie«, sagte sie, »ich muss wohl kurz eingenickt sein.«
»Sie waren lange eingenickt. Eine ganze Stunde. Wenn wir in Verona ankommen, wird es bereits dunkel sein. Wir müssen also sehr vorsichtig sein.«
»Schaffen wir unsere Verabredung mit Petacci in der Arena denn noch?«
»Ja, aber eigentlich wollte ich mir die Gegend um die Arena vorher noch bei Tageslicht ansehen. Das geht jetzt wohl nicht mehr.«
»Wird es dadurch für uns nicht ziemlich gefährlich?«, hakte sie nach. »Ich bin ein großes Mädchen, Beaurain. Sie brauchen sich mir gegenüber kein Blatt vor den Mund nehmen.«
»Ja, wir müssen auf alles gefasst sein.«
16
Am Abend zuvor war Tweed mit Monica den Stand der Dinge durchgegangen.
»Pete Nield und Harry Butler beobachten das Sicherheitsministerium«, las Tweed von einer Liste ab. »Dabei ist Nield auf Victor Warner angesetzt und Butler auf Peregrine Palfry. Beide melden sich mit einer kodierten Nachricht, sobald eine ihrer Zielpersonen das Gebäude verlässt.«
»Richtig«, sagte Monica.
»Was Marler anbelangt, so verfolgt der immer noch Eva Brand. Haben Sie inzwischen schon was von ihm gehört?«
»Nein, noch nicht.«
»Newman versucht, mehr über diese Hogarth-Brüder herauszufinden. Gibt’s da was Neues?«
»Bisher auch noch nicht.«
Das Telefon klingelte, und Monica hob ab. Nachdem sie wieder aufgelegt hatte, sagte sie: »Sie haben Besuch, Tweed. Agatha Gobble aus Carpford.«
»Tatsächlich? Was für eine Überraschung. Als ich
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