Das Netzwerk
herrschte eine konzentrierte, ernsthafte Atmosphäre, doch damit konnte man Taylor nicht kommen.
«Na los, Leute, Essen fassen!», rief er übertrieben laut und stellte seine Einkäufe auf den nächstbesten Schreibtisch. Dann öffnete er eine Bierdose und reichte sie Stone. «Und, junge Frau?», sagte er zu Anna. «Was ist mit Ihnen?»
«Ich wollte doch eine Cola Light.»
«Gab’s nicht. Willst du ein Bier?»
«Klar», sagte Anna. «Warum nicht?»
Taylor reichte ihr eine Dose und öffnete sich dann selbst eine. «
Serefe
!», sagte er.
«Was heißt das?», erkundigte sich Stone.
«Das ist Türkisch und heißt so viel wie ‹Leck mich am Arsch›.»
«Wie bitte?»
«Das war nur ein Witz. Es heißt ‹Prost›.»
«Na dann, Prost.» Stone hob seine Bierdose.
«Prost», sagte Anna.
Nachdem sie die leeren Ketchuppäckchen, Pommestüten und Hamburgerschachteln weggeräumt hatten, nahm Stone den Faden wieder auf. Die Mahlzeit schien seine Konzentration gefördert zu haben: Er gab nicht mehr den mäandernden Dialektiker, der sich auf dem Weg zu einem fernen, leuchtenden Ziel hier und dort verzettelte, sondern schlug den Ton eines Einsatzleiters an, der direkt auf die entscheidenden Punkte zu sprechen kam. «Wir sollten sehen, dass wir vorankommen», sagte er. «In etwas über einer Stunde ist Marjorie zurück, bis dahin möchte ich Sie mit Ihren konkreten Aufgaben vertraut gemacht haben.»
Anna zog sich einen Notizblock heran. Taylor legte die Füße auf den Schreibtisch.
«Das Grundgerüst unserer Operation sollte bereits auf der Hand liegen, schließlich haben Sie seine Funktionsbestandteile ja selbst ermittelt. Mein Beitrag bestand nur darin, mir kreative Möglichkeiten auszudenken, wie wir uns diese Bestandteile zunutze machen könnten. Das war der leichte Teil der Übung. Jetzt ist es an Ihnen beiden, loszuziehen und das alles in die Tat umzusetzen: unser Phantasieszenario mit echten Menschen zu füllen, ihm Fleisch und Blut zu geben, damit Leben in die Sache kommt.»
«Sie wollen sich aber hoffentlich nicht drücken», warf Taylor ein.
«Keineswegs. Aber ich bin nicht mehr als Agent im Einsatz. Ich bin bestenfalls Planer.»
«Und wie lautet der Plan?»
«Die Operation, die mir vorschwebt, besteht aus zwei miteinander verwobenen Strängen. Zunächst wollen wir versuchen, die Illusion einer Unabhängigkeitsbewegung in Zentralasien zu erzeugen, und anschließend müssen wir diese Illusion den Sowjets verkaufen, und zwar so, dass sie uns das auch abnehmen. Hierbei kommen uns zwei glückliche Zufälle zu Hilfe: Alans Entdeckung, dass die Sowjets unter falscher Flagge eine Operation zur Infiltrierung einer zentralasiatischen Untergrundbewegung durchführen, die nach ihrer Vermutung längst existiert, und Annas Entdeckung eines Iraners aus Aserbaidschan, der behauptet, einer ebensolchen Untergrundbewegung anzugehören. Die Instrumente sind also vorhanden, jetzt müssen wir nur noch darauf spielen. Oder besser gesagt: Wir brauchen Leute, die für uns darauf spielen.
Alan», wandte er sich an Taylor, «Ihre Ausgangslage ist recht komplex. Sie müssen einen Weg finden, einem KG B-Agenten , der sich als CI A-Mann ausgibt, Informationen zuzuspielen, ohne dass er Verdacht schöpft. Er darf nicht merken, dass man ihn mit falschem Material versorgt. Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie dieses Kunststück bewerkstelligen wollen?»
«Ein wenig», sagte Taylor. «Wir brauchen auf jeden Fall einen Strohmann, jemanden aus Zentralasien, der unser Material an Rawls weitergibt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Istanbul den richtigen Kandidaten dafür finden. Die Sowjets haben die Stadt ganz gut unter Kontrolle.»
«Das sehe ich genauso», sagte Stone. «Es ist absolut essenziell, den richtigen Strohmann anzuwerben, damit steht und fällt im Grunde die ganze Operation. Und wir werden diese Person ganz sicher nicht in der Türkei finden. Aber wie es der Zufall will, habe ich schon eine Empfehlung für Sie.»
«Ach ja?»
«Vor langer Zeit hatten wir einmal einen höchst außergewöhnlichen Mann aus Usbekistan in unseren Reihen. Er hat im Krieg für die Deutschen gearbeitet, wo wir ihn Anfang der Fünfzigerjahre aufgelesen haben. Ein höchst charmanter Mensch. Er spricht mit usbekisch-russischem Akzent. Und wenn er einwilligt, die Aufgabe zu übernehmen, ist er genau Ihr Mann. Da liegt allerdings auch gleich das Problem. Ende der Fünfziger hat er den Geheimdienst nämlich unter äußerst
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