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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Fall. Du bist erst ein knappes halbes Jahr im Geschäft und hörst dich schon an wie Stone höchstpersönlich. Lass uns das Essen bestellen.»
    «Ich habe keinen Hunger mehr», sagte Anna.
    Doch nach wenigen Minuten und einem weiteren Glas Wein gab sie ihre Schmollhaltung auf, und Margaret erzählte ihr eine weitschweifige Fabel, in der es um eine Agentin ging, deren Mann im Dienst ums Leben gekommen war. Getrieben von Trauer und dem Wunsch nach Rache hatte sie daraufhin Russisch gelernt und sich freiwillig bei der Moskauer Botschaft zum Dienst gemeldet. Ihre Vorgesetzten waren nur allzu bereit, ihr diese Chance zu geben: Sie suchten in diesem Jahr vor allem nach Frauen, die geheime Botschaften übermitteln und die Agenten in «Sperrgebieten» wie Moskau unterstützen sollten. Die Frau ahnte allerdings nicht, dass die Moskauer Regierung sie bereits auf dem Kieker hatte, seit sie am Scheremetjewo-Flughafen gelandet war. Sie nahmen sie fest, als sie gerade eine Nachricht für einen angeblichen Agenten in einem toten Briefkasten deponieren wollte, organisierten eine Pressekonferenz und präsentierten stolz ihre Beute: Codetabellen, Schreibutensilien für geheime Nachrichten, sogar eine Giftkapsel. Sie machten eine richtige Show daraus, und die arme Frau kehrte blamiert bis auf die Knochen nach Hause zurück.
    «Man hätte sie warnen sollen», bemerkte Anna.
    «Wozu denn?»
    «Damit sie sich nicht erwischen lässt.»
     
    30  Die trostlose Leere der ersten Tage war aus dem Karpetland-Büro verschwunden: Nun stapelten sich in dem neonhellen Ladenlokal Kisten mit Büchern, Kassetten, Manifesten und Handzetteln in den verschiedenen Turksprachen Zentralasiens, die alle paar Tage aus den geheimdiensteigenen Druckereien und Tonstudios rund um Washington angeliefert wurden. Weder Taylor noch Anna hatten entsprechende Bestellungen aufgegeben, und Marjorie natürlich erst recht nicht. Blieb also nur Stone, der seine Aktionen wie üblich im Verborgenen durchführte.
    Marjorie räumte die Kisten aus der Sofaecke in den hinteren Teil des Ladens, um ihren Kollegen eine Sitzmöglichkeit zu verschaffen, denn Stone hatte sich angekündigt, um in einer Besprechung das zu erläutern, was er recht vage als «Phase 2» bezeichnete. Anna kam als Erste die Treppe herauf, Taylor traf ein paar Minuten später ein. Diesen kleinen strategischen Kniff hätten sie sich allerdings auch sparen können: Marjorie war viel zu sehr mit Aufräumen beschäftigt, um darauf zu achten, ob sie nun einzeln oder gemeinsam zur Arbeit erschienen. Sie nahmen jeder auf einem Sofa Platz, neben einem Stapel von Kisten mit Koranausgaben, die in der Woche zuvor aus Pakistan geliefert worden waren.
    Anna wirkte müde und abgespannt. Seit dem Abendessen mit Margaret zerbrach sie sich den Kopf über ihre berufliche Karriere und ihr Privatleben. Im Restaurant hatte sie sich natürlichbemüht, souverän und ungerührt zu wirken, doch das Gespräch schien eine Schleuse in ihrem Kopf geöffnet zu haben: Seither schlief sie schlecht, wälzte sich von einer Seite auf die andere und fragte sich, wohin ihre lautlosen Schritte sie wohl noch lenken würden. Taylor war die ganze Woche in New York gewesen, und so hatte Anna Zeit genug, dumpf vor sich hin zu brüten und ihre Welt im hellen, erbarmungslosen Tageslicht zu betrachten. Um sich abzulenken, hatte sie eine Recherche über die
hamidiye
begonnen, die Geheimpolizei des Sultans Abdülhamid, in der Hoffnung, dadurch auf ein paar Ideen zur Organisation von Netzwerken in Zentralasien zu kommen. Doch beim Lesen schien es ihr zusehends, als hätte Abdülhamids einziger messbarer Erfolg im Organisieren der Verfolgung von Griechen und Armeniern bestanden. Das steigerte ihr Unbehagen nur noch.
    Eigentlich hatte sie keine Angst und war auch nicht ernstlich besorgt, sondern hauptsächlich verunsichert. Und so hatte sie während einer dieser unruhigen Nächte beschlossen, dass es an der Zeit war, diese Verunsicherung ihren beiden Kollegen gegenüber zu äußern. Wenn es ihnen nicht passte, dass sie Fragen stellte, oder sie das schwach und typisch weiblich fanden, konnte Anna ihnen auch nicht helfen.
    «Guten Tag, meine Freunde», rief Stone gut gelaunt, als er endlich eintraf.
    «Hallo, Boss», sagte Taylor.
    Anna schwieg. Neben allem anderen ging ihr auch Stones gleichbleibende Fröhlichkeit zunehmend auf den Geist.
    «Es ist so weit.» Stone setzte sich zu ihnen in die Sitzecke.
    «Wofür?», fragte Anna.
    «Um unsere Schlachtordnung zu

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