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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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heraus, wenn jemand es geöffnet hat. Und wenn Sie das waren, geht es Ihnen schlecht. Kapiert?»
    «Ja. Munzer hat kapiert.»
    Taylor drehte das Wasser wieder ab und ging zurück in den Flur. Als er die Tür öffnete, küsste Munzer ihn auf beide Wangen.
     
    Es dauerte gerade mal eine Woche. Als Taylor am nächsten Dienstag wieder in Munzers Wohnung kam, hatte er ein Gerät dabei, mit dem er bestimmen konnte, ob sich jemand am Umschlag oder dem Sprengstoffpäckchen zu schaffen gemacht hatte. Zu seiner großen Zufriedenheit war das bei beiden der Fall. Die Karten waren bestimmt allesamt fotografiert worden, und einen der Beutel mit dem Sprengstoff hatte man sogar geöffnet, vermutlich um ihm eine winzige Probe zu entnehmenund danach in Moskau zu analysieren. Taylor erzählte Munzer nichts von seinen Entdeckungen, aber er nahm ihn noch einmal in die Mangel um sicherzugehen, dass den Usbeken nicht doch die Neugier übermannt hatte.
    «Die Sachen sind doch noch in Ordnung, oder?», fragte Munzer besorgt. «Sind nicht berührt worden?»
    «Alles in Ordnung», erwiderte Taylor. «Kein Problem. Ich nehme sie jetzt wieder mit.»
    «Warum? Geht es bald los?»
    «Ja, bald. Die Sachen gehen jetzt an die Leute, die sie wirklich brauchen.»
    «Darf ich mit dabei sein?»
    «Nein, mein Freund. Noch nicht.»
    «Aber bitte bald. Munzer Achmedow möchte dabei sein, wenn der Krieg beginnt.»
     
    34  Im Spätsommer wurde die erste Bombe im Handgepäck eines indischen Geschäftsreisenden aus Neu-Delhi nach Taschkent gebracht. Der Mann, der eigentlich Ramchandra P.   Desai hieß, trug bei Stone und seinen Freunden den Codenamen QRCOMFORT und war ein Einkäufer für die Baumwolle, die auf den riesigen Kolchosen im Nordwesten Usbekistans produziert wurde.
    Sein fünfter und letzter Tag in der Stadt – noch am Abend sollte er über Kabul wieder zurück nach Indien fliegen – war einer von jenen strahlenden Sommertagen, an denen usbekische Parteifunktionäre so richtig stolz auf die Hauptstadt ihrer Sowjetrepublik waren. Taschkents breite, von mächtigen Bäumen gesäumte Boulevards und sein zentral gelegener Park mitherrlichen Rosengärten und zierlichen Brunnen hatten der Stadt den Beinamen «das Paris Usbekistans» eingebracht. Dem Stadtbild von Taschkent kam es zugute, dass viele der seelenlosen Plattenbauten, die Stalin dort hatte errichten lassen, 1966 von einem verheerenden Erdbeben zerstört wurden. Nach Angaben der Behörden waren bei dem Beben nur neunzehn Menschen ums Leben gekommen, was damals als ein weiterer Beweis für die grundlegenden Vorzüge des sozialistischen Systems gefeiert wurde. Eigentlich hätte man auch die wahren Opferzahlen veröffentlichen können, die mit etwa zweihundert immer noch erstaunlich niedrig waren, aber die Funktionäre konnten wohl nicht anders. Sie mussten lügen, weil das System es so verlangte.
    Als der indische Geschäftsmann am Tag seiner Abreise kurz vor fünf sein Zimmer im Hotel Usbekistan verließ, hatte er seine kleine Reisetasche an einem Riemen über der Schulter hängen. Er war ein kleiner, gutgekleideter und eher stiller Mann und strahlte jene seltsame Kombination von Dienstbeflissenheit und Arroganz aus, die indische Reisende im Ausland häufig an den Tag legen. Während seines Aufenthalts in Taschkent hatte er die Russen ausgesucht höflich und die Usbeken eher herablassend behandelt, was Letztere sich nur deshalb gefallen ließen, weil er mit echtem Geld und nicht mit Rubel bezahlte und außerdem – wie alle indischen Geschäftsleute – bei einem für ihn günstigen Abschluss gewisse «Kommissionen» fließen ließ. Dass er ein äußerst penibler Mann war, der beim kleinsten Problem in zappelige Hektik verfiel, kam ihm bei diesem Auftrag zugute, denn als er im Lauf der Woche wegen der Tasche in seinem Hotelzimmer immer nervöser wurde, wunderte sich niemand darüber. So benahmen sich die komplizierten Inder aus den höheren Kasten nun mal.
    Jetzt, als er das Hotel verließ, wurde Mr.   Desai wieder einmal von heftigen Angstattacken überfallen. Es war nicht das erste Mal, dass er etwas für die Amerikaner erledigte, aber dieser Auftrag war nicht wie die anderen. Der Mann, der ihm in Neu-Delhi die Tasche übergeben hatte, war nicht sein normaler Führungsoffizier gewesen, sondern jemand, den er noch nie zuvor gesehen hatte, und auch der Auftrag selbst war ziemlich merkwürdig: Er musste eine Tasche, deren Inhalt er nicht kannte, an einen anderen Kurier übergeben, dessen

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