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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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aber sie weiß einfach nicht, wann sie sich einer Autorität unterordnen muss. Ich finde so etwas bei Untergebenen eigentlich immer problematisch, aber ganz offen gesagt finde ich es besonders unattraktiv, wenn es bei einer Frau auftritt.»
     
    Annas letztes Treffen mit Doktor Antoyan in Paris dauerte nicht lange. Sie wohnte jetzt in einem kleinen Hotel in der Vorstadt, in der Nähe des amerikanischen Krankenhauses in Neuilly. Gleich nach ihrer Rückkehr hatte sie sich einmal kurz mit dem Armenier getroffen und danach zunächst auf eine Nachricht von Stone gewartet, bevor sie sich wieder mit ihm verabredete. Von Taylor hörte sie nichts, aber das hatte sie auch nicht anders erwartet, und es war ihr auch ganz recht so.
    Als Aram Antoyan zu der zweiten Verabredung im Vorstadtcafé am Rand des Bois de Boulogne kam, war er stark verändert. Er hatte sich seinen Bart komplett abrasiert, sodass sein Gesicht viel dünner und verletzlicher wirkte als zuvor, und trug einen schlecht sitzenden, grauen Anzug, der wie ein Sack an seinem Körper hing. Irgendwie kam er Anna so vor, als wäre er schon halb in der Sowjetunion.
    Anna erklärte ihm in allen Einzelheiten die Prozedur für die Übergabe der Antenne. Anfang November würde sie über die iranische Grenze erst nach Nakischewan gebracht werden, eine aserbaidschanische Enklave an der armenischen Grenze, und von dort aus in ein kleines armenisches Dorf namens Kiarki, das hauptsächlich von Aserbaidschanern bewohnt wurde. Am zehnten November sollte Aram sich dort im Haus eines gewissen Sadeq Shirvanshir einfinden und sagen: «Hamid hat mich geschickt.»
    Anna schrieb Antoyan Datum, Adresse und Passwort aufeinen Zettel und bat ihn, diese Informationen auswendig zu lernen. Der Armenier blickte dreißig Sekunden lang auf das Geschriebene, schloss die Augen und sagte die Worte ein paarmal hintereinander vor sich her, bevor Anna den Zettel wieder an sich nahm und ihn in ihre Handtasche steckte.
    «Ich werde dort sein», sagte Aram.
    «Komm doch noch mit mir in mein Hotel», sagte Anna, als sie mit ihrer Besprechung fertig waren. «Ich würde gerne noch ein paar Stunden mit dir zusammen sein.»
    «Das wäre nicht klug», antwortete Aram sanft.
    «Weißt du was? Ich habe das ewige Klugsein gründlich satt. Das ist etwas für alte Männer.»
    «Wenn ich länger mit dir zusammen bin, will ich vielleicht gar nicht mehr nach Hause. Und außerdem würde es uns beide möglicherweise in Gefahr bringen. Wer weiß, vielleicht stehe ich ja jetzt unter Beobachtung, wo ich wieder zurück nach Armenien fliege.»
    Anna überkam eine Woge der Traurigkeit. «Wann sehe ich dich dann wieder?»
    «Wenn ich das nächste Mal in den Westen komme.»
    «Und wann wird das sein?»
    «Keine Ahnung. Vielleicht in ein paar Jahren.»
    «Wie willst du mich dann finden?»
    «Das dürfte nicht schwer sein. Ich denke, ich weiß, wie ich dich kontaktieren kann.»
    Er zeigte ihr sein leises Lächeln, das Anna früher so verzaubert hatte, ihr jetzt aber nur Angst um ihn machte.
    «Wie können wir dich in Eriwan erreichen?»
    «Haben wir nicht bei unserem letzten Treffen ausgemacht, dass wir nur für diese eine Sache Kontakt miteinander haben?»
    «Stimmt. Ich meinte auch nur für den Notfall.»
    Antoyan schrieb eine Adresse und eine Telefonnummer auf eine Papierserviette und gab sie ihr. «Das ist das Krankenhaus, an dem ich arbeiten werde. Aber ihr müsst wirklich vorsichtig sein, wenn ihr jemals mit mir Kontakt aufnehmen solltet. In der Sowjetunion geht es anders zu als im Westen. Dort gibt es keine harmlosen Treffen so wie hier.»
    «Hast du denn keine Privatadresse?»
    «Bis jetzt noch nicht. Aber ich kann dir die Adresse meiner Eltern aufschreiben.» Er ließ sich die Serviette zurückgeben und kritzelte etwas in armenischen und lateinischen Buchstaben darauf. «Aber sei vorsichtig», ermahnte er sie noch einmal.
    Anna wollte ihm nicht zeigen, dass sie Angst um ihn hatte. Obwohl sie sich so für seine Mission eingesetzt hatte, hätte sie ihn jetzt, am Vorabend seiner Abreise, am liebsten nicht mehr gehen lassen. Sie hatte ihre Flugtasche mit dem Bargeld dabei und wollte ihm etwas davon geben, damit er zumindest ein paar Geschenke für seine Verwandten kaufen konnte, aber er wies ihr Angebot mit einer wegwerfenden Handbewegung zurück.
    «Mach dich nicht lächerlich», sagte er.
    Der Kellner kam und fragte, ob sie noch einen Wunsch hätten. Aram schüttelte den Kopf.
    «Lass uns jetzt Lebewohl sagen», sagte er.

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