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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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«Sonst fällt uns der Abschied immer schwerer.» Er umarmte Anna, küsste sie auf beide Wangen und ließ sie wieder los. Ihre Augen waren ganz feucht. Sie hatte einmal gehört, dass Russen, wenn sie jemanden nicht fortlassen wollen, sich im Bahnhof auf seine Koffer setzen und nicht mehr aufstehen. Aber so etwas konnte sie nicht tun. Sie war schließlich Aram Antoyans Führungsoffizierin.
    «Sollte etwas schiefgehen, geben wir dir Bescheid», sagte sie.
    «Es geht nichts schief.»
    «Aber wenn doch, dann sorgen wir dafür, dass du rechtzeitig gewarnt wirst. Das verspreche ich dir.»
    «Auf Wiedersehen, Liebste», sagte er, küsste sie ein letztes Mal auf die Wange und verließ das Lokal. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging er los in Richtung Métro. Doktor Antoyan, das hatte er immer wieder deutlich gemacht, wollte kein Opfer sein. Nicht einmal ein Opfer der Liebe.

VIII
ANNA BARNES
    Washington/​Istanbul
    Eriwan/​Boston
    Oktober 1979 – Dezember 1980
    40  Eines Morgens Mitte Oktober stürzte Edward Stones windschiefes Kartenhaus endgültig ein. Er war wie üblich seinen Verfolgern einen Schritt voraus, aber in diesem Fall half ihm das auch nichts. Kurz nach halb acht erhielt Stone einen Anruf von Harry Peltz, seinem Freund und Informanten in der Europaabteilung. Ein Nachbar von Peltz, der für das Sicherheitsbüro arbeitete, hatte ihm einen Tipp gegeben. Um halb elf am Vormittag, so erzählte Peltz, wolle das Sicherheitsbüro eine Razzia bei einer Firma namens Karpetland machen, von der vermutet wurde, dass sie die Tarnadresse einer illegalen CI A-Unternehmung sei. Die Razzia, so Peltz, sei nur ein Teil einer größeren Unternehmung, die aber streng geheim sei. Er dachte, Stone würde das interessieren.
    «Herzlichen Dank, alter Junge», war alles, was Stone dazu sagte. Dabei war er einer handfesten Panik so nahe, wie es ein kontrollierter und selbstbeherrschter Mann wie er nur sein konnte.
    Stone ließ seinen blauen Nadelstreifenanzug auf dem stummen Diener und zog sich stattdessen eine alte Kordhose, ein Polohemd und einen Pullover an. Dann verließ er eilig das Haus und fuhr hinaus nach Rockville. Obwohl auf der ganzen Wisconsin Avenue zähfließender Verkehr war, schaffte es Stone, kurz vor neun im Büro von Karpetland zu sein. Marjorie kam fast gleichzeitig mit ihm an, wie immer auf die Minute pünktlich. Stone redete nicht lange um den heißen Brei herum.
    «Wir machen den Laden dicht, Marjorie», sagte er. «Und zwar sofort.»
    Marjorie starrte Stone an, als ob sie ihn nicht richtig verstanden hätte. Sie hatte ihren Chef noch nie so schlampig gekleidet gesehen, aber was sie wirklich beunruhigte, war die Tatsache, dass er keine Socken anhatte. Eine ganze Weile starrte sie auf die bleiche Haut an seinen Fußknöcheln, die über den Schuhen zu sehen war.
    «Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mr.   Stone?», fragte sie.
    «Natürlich», antwortete er und sah auf die Uhr. «Alles in bester Ordnung. Aber wir müssen dieses Büro auf der Stelle schließen. Haben Sie mich verstanden?»
    «Wann?»
    Stone platzte der Kragen. «Sofort!», rief er. «Jetzt gleich! Sind Sie taub oder was?»
    Dass Stone plötzlich laut wurde, war für Marjorie noch viel ungewohnter, als ihn ohne Socken zu sehen. Sie fing an zu schniefen und sah so aus, als könne sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.
    «Reißen Sie sich am Riemen», sagte Stone. «Wir haben eine Menge zu tun und nur sehr wenig Zeit dafür.»
    Das schien sie ein wenig zu beruhigen. «Und jetzt schließen Sie mir bitte die Schreibtische und den Aktenschrank auf. «Schnell!»
    Obwohl ihr die Hände zitterten, schaffte es Marjorie, die Schlösser aufzusperren. Im Aktenschrank befand sich nicht viel – Reiseunterlagen für Taylor und Anna, der Mietvertrag für das Büro, Versicherungspapiere für den weißen Lieferwagen, mehrere Ausgaben des offiziellen Mitteilungsblattes der amerikanischen Teppichindustrie sowie alle möglichen Werbezusendungen aus den vergangenen sechs Monaten, die Marjorie ausunerfindlichen Gründen fein säuberlich abgelegt hatte. Stone nahm alles heraus und warf es in einen großen Karton, der früher einmal Korane aus Pakistan beherbergt hatte.
    «Wo sind die Scheckbücher?», fragte er. Marjorie holte sie aus ihrem Schreibtisch und brachte sie ihm. «Und die Kreditkartenquittungen? Die Telefonrechnungen?» Marjorie holte alles und gab es ihm.
    «Wo ist das Bargeld?»
    «Im Safe.»
    «Wie viel haben wir zurzeit?»
    «Achtzigtausend

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