Das neue Evangelium
tun hatte! Man konnte denken, er sei geradewegs vom französischen Hof hierher geritten, um sie vor dem Regenschauer zu bewahren! Madeleine war entzückt.
Und wie kindisch Sean sich aufgeführt hatte! Kaum kam mal ein echter Herr daher, wie dieser Herr Grimaud aus Paris, schon wurden die Männer, mit denen sie unterwegs war, unsicher. Madeleine fragte sich, wie lange sie auf Herrn Grimaud warten musste. Würde er bald wiederkommen? Sie hoffte es und beschloss, es als Zeichen seiner Verehrung zu werten, wenn er nicht viel Zeit verstreichen ließ.
Oh, wenn er doch schon jetzt bei ihr wäre! Er war der Richtige, um ihr den Aufenthalt zu versüßen! Gewiss konnte er amüsant plaudern. Und das würde ihre Langeweile vertreiben, die Madeleine so quälend empfand. Die Männer kümmerten sich nicht um sie. Sean kam höchstens einmal, um ihr von seinem eigenen Liebeskummer zu berichten. Henri war immer mit irgendetwas beschäftigt.
Und Uthman?
Es gab Madeleine einen Stich, dass sie ohne warmherzige Gefühle an Uthman dachte. Sie fühlte sich ihm nicht mehr nah. Unsere Wege werden sich hier trennen, dachte sie. Ist das nicht furchtbar, wenn man bedenkt, wie hoffnungsvoll alles angefangen hatte?
Wir werden einander verlassen. Und wir werden uns nie wieder sehen! Jeder wird an einem gottverlassenen Ort auf dieser Erde sterben, ohne jemals wieder vom anderen zu hören!
Madeleine schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht einen Schrei auszustoßen.
Der Gedanke war zu schlimm. Aber sie wusste, so würde es sein. Es war das Schicksal aller Liebenden, die die Sehnsucht nach dem anderen verloren hatten.
Wieder dachte sie an Herrn Grimaud. Komm her zu mir. Ich will mich mit dir trösten. Denn du bist die Leichtigkeit des Lebens für mich. Das Süße, das Tändelnde, das freudig Erregte.
Ich will diesen strengen Mann vergessen, der Uthman ibn Umar heißt, dachte Madeleine.
7
Ende Februar 1320. Der geheimnisvolle Papyrus
Auf der Straße nach Salamis begegnete Henri ratternden Karren, einzelnen Reitern und einer Gruppe von Landarbeitern. Aber er sah rechts und links der Straße auch Zeugnisse aus einer anderen Zeit. Ruinen, zerborstene Säulen, eingefallene Gebäude.
Die Straßen von Salamis waren voller Männer mit hellen Kopftüchern, aber Henri sah keine Frauen. Er ritt weiter, fragte einen alten Mann vor einer Hütte nach dem Spital und schlug den angegebenen Weg ein. Salamis besaß große, freie Plätze, über die der Wind vom Meer wehte. Das Geläut von Kirchenglocken hallte und verwehte, streunende Hunde bellten ohne Unterlass.
Der Platz vor dem Spital war überraschenderweise von Verkaufsständen umgeben, die Geflügel, nach Gewürzen duftendes Brot, Backwerk, Kleidung, Fleischstücke und Fisch in großen Körben anboten. Hier gab es auch Frauen, die an den Ständen Waren verkauften. Alle Frauen waren schön und farbig gewandet, dunkelhaarig, mit geschmeidigen Gliedern und glänzender Haut, selbst die älteren schienen Henri schön und anziehend zu sein.
Durch ein schmiedeeisernes Tor erreichte er einen schattigen Innenhof, der von Palmen gesäumt war, unter denen Bänke standen. Ein Brunnen plätscherte, eine Wasserfontäne lief einen künstlich angelegten Felsen hinunter, in einem ovalen Becken schwammen bunte Fische.
Henri ging durch Gänge mit Fußböden aus gefasstem Stein, rechts und links konnte er in Zimmer blicken, in denen Menschen auf Bettgestellen lagen. Weißgekleidete gingen umher. Einige von ihnen besaßen erstaunlich lange, heruntergezogene Ohrläppchen. Henri erinnerte sich, in Syrien jemanden gesehen zu haben, der ähnlich aussah, er hatte ihm erzählt, aus einem Geschlecht von Inselherren aus dem fernsten Osten zu stammen, von dort, wo das Meer bis an den Erdenrand reiche. Beherrschten sie nicht eine verbotene Kunst? Das Schädelöffnen mit Obsidianmessern, das man Trapanation nannte.
Henri hatte sich damals bei der Vorstellung einer solchen Tätigkeit geschüttelt. Im Christentum war solches Tun verpönt, der Mensch sollte unverletzt sein, wenn er ins Jenseits einging, auch Ärzte hatten kein Recht, Gottes Werk, den Menschen, zu beschädigen.
Henri fragte einige nach dem Sakristan vom Barnabas-Kloster, von dem er inzwischen wusste, dass er Alexios Narkissos hieß. Die Befragten schüttelten den Kopf, er wurde zu einer abgedeckten Nische am gegenüberliegenden Eingang verwiesen, wo ein Pförtner saß.
Auch dieser, ein Mann mit eingefallenen Wangen und grauer Haut,
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