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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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was von der Thora vor mir ist. Und Überbringer der frohen Botschaft von einem Gesandten, der nach mir kommen wird. Sein Name wird Mohammed sein.
    Und dies hatte auch Barnabas gedacht und geschrieben. Es bestätigte den Koran, und es bestärkte alle Muslime.
    Dieser Barnabas, dachte Uthman, wer war er wirklich?
    Hatte er die Wahrheit gesagt, und war er deshalb ausgewiesen, verfolgt und gesteinigt worden? War er deshalb zum Märtyrer geworden, weil er den Islam als einzige Religion vorhergesagt hatte?
    Er hatte die Wahrheit gekannt, denn er war an der Seite des leiblichen Jesus umhergezogen.
    Uthman schwirrten allmählich die Sinne. Alles, was Muslime je gedacht hatten, bestätigte sich in diesem neuen Evangelium. Es war kein Wunder, dass man es im Kloster des Barnabas verschwinden lassen wollte. Dass man es kopieren und dabei unschädlich machen wollte. Aber jetzt war es in der Welt. Die Wahrheit kam ans Licht.
    Uthman blickte nach draußen. Die Sonne stand im Zenit. Jesus de Burgos war nicht mehr zu sehen.
     
     
    Das Neue wird alles verändern, dachte Henri. Es ist unheimlich. Es wird seinen Siegeszug antreten, und danach wird nichts mehr so sein, wie es war.
    Henri saß im Schatten der Hauswand und blickte über den hinteren Garten, in dem die Wirtsleute ihr Gemüse anpflanzten. Henri hatte die Evangelien immer als Heilsbotschaft verstanden, die in eine ungläubige Welt der Schatten und der Zweifel das Licht brachten. Er stand im Licht des Glaubens der Christenheit, und er sah die Hölle des Unglaubens in weiter Ferne. So weit entfernt, dass er keine Furcht davor empfand. Aber jetzt rückte diese Sphäre bedenklich nahe.
    Henri versuchte, sich zu beruhigen. Die kirchlichen Autoritäten würden das neue Evangelium einzuschätzen wissen. In Rom würde man es gründlich untersuchen, Henri hatte sich innerlich schon bereit gefunden, es persönlich dorthin zu tragen. Man würde seinen wahren Stellenwert gewiss rasch herausfinden.
    Aber wenn dieses Evangelium in falsche Hände gelangte, konnte es schlimme Folgen zeitigen. Wer in den Besitz dieser Schrift, dieser Reliquie, kam, war außerordentlich mächtig. Dagegen war alles Gold nur Staub. Ohne Zweifel würden die hohen Herren des Heiligen Offiziums von Rom dies ebenso einschätzen.
    Sie werden sofort sehen, dass sich mit dieser neuen Schrift alles verdüstert. Wenn wir unsere Gewissheiten verlieren, dachte Henri, wird alles dunkel und sinnlos. Aus dem Tag wird Nacht. Aus dem Glauben wird Angst. Aus dem Himmel die Hölle. Die Feuer werden über uns kommen. Wasser wird zu Blut. Die Kirchenglocken werden hässliche Töne von sich geben und dann zerbersten. Und das Licht wird eingesogen werden durch das Loch in der Tiefe des Bodens.
    Henri versuchte vergeblich, sich von den peinigenden Gedanken zu befreien. Hatte das alles etwa mit Zauberei zu tun? Mit geheimnisvollen Kräften, die niemand beherrschte? Die Christenheit kannte nur ein einziges Bild von der Welt. Hatte man zu lange darauf gestarrt und nicht gesehen, dass sich dahinter ein anderes verbarg? Die Rückseite? Die Schattenwelt? Entfernte sich mit diesem neuen Evangelium nicht die Wirklichkeit auf unheimliche Weise von der Schöpfung – so als entwürfe es eine zweite Wirklichkeit? Woran sollte man dann noch glauben?
    Henri stand auf und ging hinter dem Gasthaus wie ein eingesperrtes Tier im Käfig herum. Er wollte alle diese Gedanken und Befürchtungen abwerfen. Aber es gelang ihm nicht.
     
     
    Sie saßen in der Gaststube zusammen. Auch Jean Grimaud war dabei. Außer Jesus, der noch einmal nach Famagusta zur Georgskapelle geritten war – vielleicht, um nicht mit Grimaud zusammentreffen zu müssen –, fehlte nur Uthman.
    Der Sarazene hatte Henri nur mitgeteilt, dass er ihn in zwei Tagen zurückerwarten solle. Er habe einen Verdacht, erklärte Uthman knapp, er wolle ihm nachgehen. Die Schrift ließ er wohl verwahrt zurück. Henri kannte den Freund gut genug, um zu wissen, dass er nichts weiter preisgeben würde.
    Beim Essen war es Grimaud, der den Ton angab. Er plauderte von Paris. Madeleine sah ihn mit bewundernden Blicken an. Der Mann konnte gut erzählen, das erkannte auch Henri neidlos an. Grimaud kannte die Verhältnisse am Pariser Hof so gut, dass Henri den Verdacht schöpfte, er sei ein verkappter Adeliger, der sich tarnte. Aber Grimaud erzählte ganz unbefangen und schien nichts auszulassen. Er versprach Madeleine, sie bei Hofe einzuführen. Madeleine schien Uthman schon vergessen zu haben.
    Sean

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