Das neue Evangelium
von Limassol, unsere Güter den Hospitalitern zu überschreiben. Ich war in jenem Jahr auf Zypern und musste mich verstecken. Doch mit der Auflösung vor vier Jahren gab es immerhin keine wilde Hatz nach Tempelbrüdern, so wie in Frankreich, die Verfolgung wurde einzelnen Fanatikern überlassen.«
Ludolf brummte etwas wie Zustimmung.
»Ich konnte«, fuhr Jesus fort, »sogar ungehindert beobachten, wie aus unserem Tempelhaus in Limassol der Schatz abtransportiert wurde – 26 000 Byzantinen in Gold, Silbergeschirr und Schmuck. Die Hospitaliter errichteten aus allen ihnen übergebenen Tempelgütern auf dieser Insel eine bedeutende Bailei und unterteilten sie in sieben einzelne Kommenden. Sie übernahmen auch unsere Komtureien, unseren Hafen in Limassol, unsere Festungen und Schlösser in Kolossa und Ricordame. Habt ihr euch nie gefragt, ob nicht die Hospitaliter hinter dem Verrat steckten? Sie profitierten am meisten davon.«
Henri murmelte etwas. Er hatte keine Lust, darüber nachzudenken. Erst allmählich hörte er Jesus aufmerksamer zu. Was der Pilger sagte, lenkte ihn von seinen trüben Gedanken ab. Denn diese Geschichten handelten von Kampf, Wehrhaftigkeit, Strategien und Politik. Und langsam kehrte Henris Wut zurück.
Jesus erzählte weiter. Er schien sich selbst Mut machen zu wollen.
»Es war die Bulle ad providam Christi vacarii, die uns in unseren Heimatländern ins Unglück stürzte. Welch ein unseliger Tag! Es fing im Jahr 1307 an. Ich flüchtete, als ich vor den Bischof meiner Diözese und dann vor das Konzil von Vienne geladen wurde. Ich wusste, wenn ich nicht binnen eines Jahres dort erscheinen würde, käme ich in den Bann, hielt ich mich weiter versteckt, würde gegen mich als Ketzer ermittelt. So erging es allen anderen Brüdern im Süden Frankreichs. Sie saßen in den Komtureien ein, teils in königlichen oder bischöflichen Palästen oder in den Häusern mächtiger Barone. Oh, diese hohen Herren profitierten sehr von unserem Elend!«
»Ich kenne diese Geschichten«, sagte Henri müde. »Ich war in Paris, als es geschah. Dort waren die Gefangenen in vielen Häusern verteilt. Im Tempel, im Haus des Bischofs von Amiens, des Grafen von Savoyen, im Haus Stephans de Serena, des Penna Vayr, des Cayssains de Brebanz, zu Ocrea, beim Abt von Lagny, im Haus des de la Rage, des Claravalle St. Martin und des Richard de Spoliis – sie bereicherten sich an unserem Erbe. Aber wozu sich daran erinnern? Es ist vorbei, und wir werden es nicht mehr ändern können.«
»Es macht mich wütend«, bekannte Jesus. »Und Wut geht mit Mut zusammen, meinst du nicht, Henri?«
»Dann erzähle weiter, Jesus. Du warst in jener dunklen Zeit in Südfrankreich. Wie verfuhr man mit den Templern in deiner Heimat, in Spanien?«
»In meiner Heimat? Dort war es unterschiedlich. In Katalonien versuchten viele Brüder nach der Nachricht von dem Schicksal der Ihrigen in Frankreich mit ihren Schätzen per Schiff in ferne Länder zu fliehen. Aber kaum jemandem gelang diese Flucht. Widrige Winde über Wochen trieben alle Flüchtlingsschiffe wieder an die Küsten zurück. Ein Teil zerschellte an den Klippen. Könnt ihr euch das vorstellen? Es war wie ein Gottesurteil. Sie verzweifelten.«
»Das kann man nachvollziehen«, murmelte Ludolf.
»Dann beschlossen sie, sich auf ihren Burgen zu verteidigen. Aber König Jakob der Zweite eroberte alle Burgen, nahm unsere Brüder gefangen und warf sie in Ketten. Aber es gab auch gute Nachrichten. Ich weiß es noch wie heute. Am 10. August des Jahres 1312 versammelte sich, nachdem die Aufhebungsbulle des Papstes bekannt geworden war, ein Konzil zu Tarragona unter Vorsitz des Erzbischofs Wilhelm von Roccaberti, wo die Sache des Tempels noch einmal untersucht wurde. Man sprach sie frei! Ein Erlass besagte, dass niemand die Tempelbrüder einer Schuld zeihen sollte!«
»Welch ein mutiges und ermunterndes Vorgehen!«, rief Henri überrascht aus. »Davon habe ich noch nie gehört.«
»Da aber das Urteil des Papstes gesprochen war, so wusste die Synode eine Zeit lang nicht, was sie mit den Verurteilten und doch Freigesprochenen tun sollte. Zuletzt beschloss man, die Brüder sollten aus den bisherigen Tempelgütern Wohnung und Unterhalt bekommen, den Bischöfen unterstellt bleiben und ein untadeliges Leben führen, bis der Papst nähere Verfügung treffen werde. Im Jahr 1317 erlaubte endlich der Papst auf Ansuchen König Jakobs von Aragon, dass Ritter und Güter einen neuen Orden, den von Montesa,
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