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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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Stelle, wo beschrieben wurde, wie Barnabas zusammen mit Jesus und Paulus an der Küste des Sees Genezareth entlangritt und Nazareth erreichte. Uthman dachte nach. Er versuchte, sich alles vorzustellen.
    Lag Nazareth nicht auf einem Hügel? Er selbst war doch in dieser kleinen Stadt gewesen und hatte auf den See hinabgeblickt. Henri hatte mit ausgestreckter Hand hinuntergedeutet, dorthin, wo kleine Boote mit dreieckigen Segeln zum Fischfang hinausfuhren. Und er hatte ihm das Gleichnis von Jesus erzählt, der fünfhundert Menschen mit einem einzigen gefangenen Fisch speiste.
    Uthman spürte, dass sich in seinem Inneren etwas löste. Er kam den Antworten näher, die er suchte.
    Und wie war das damals mit der Stadt Kapernaum gewesen?
    Nach dem Bericht des Barnabas stieg Jesus vom See Genezareth hinauf in die Stadt. Uthman wusste aber, dass Kapernaum am Seeufer lag. Auch dort war er schon gewesen.
    Wie waren diese Ungenauigkeiten zu erklären? Hätte Barnabas die Örtlichkeiten nicht kennen und exakt beschreiben müssen? Oder legte er auf solche Details keinen Wert, weil sein Blick auf die Passion gerichtet war?
    Auch Uthman hatte beim Lesen auf andere Dinge geachtet, er hatte mit dem Zeigefinger an den Zeilen begeistert die Worte verfolgt, die den Islam feierten. Die kleinen Ungereimtheiten und großen Fehler waren ihm nicht aufgefallen.
    Aber waren sie denn wichtig?
    Änderte es irgendetwas an der Wahrheit dieses neuen Evangeliums, wenn die Geografie nicht stimmte? Oder entlarvte sich Barnabas dadurch vielleicht als ein Chronist, dem nicht zu trauen war?
    Nein, dachte Uthman.
    Aber ein Unbehagen blieb.
    Er ritt zögernd weiter.
    In Enkomi gingen derweil alle ihren täglichen Geschäften nach. Uthman dachte: Dass die Welt sich gerade heftiger verändert als in anderen Zeiten, davon bekommen sie hier gar nichts mit.
    Die Einwohner dieser Stadt trauten dem Frieden.

 
    13
     
     
     
    Anfang März 1320. Hoffnungslos
     
    Es war nicht nur die Hölle der Angst und der Schmerzen, es war auch die Hölle von Schuld und Sühne. Henri fühlte, dass er in diese Lage geraten war, weil die Beschäftigung mit dem neuen Evangelium ihn kampfunfähig gemacht hatte. Er hatte entsetzt auf die neuen Wahrheiten gestarrt und die anderen Gefahren nicht gesehen, die dahinter auf ihn lauerten. Und das Schlimmste war, dass er seine treu ergebenen Gefährten nicht hatte schützen können.
    Henri fühlte sich mutlos. Aber er durfte dieses Gefühl nicht zulassen. Er hatte in aussichtslosen Situationen immer gekämpft. Er wusste, nur wer sich aufgab, war tatsächlich verloren. Henri zwang sich, Mut zu fassen.
    Er blickte auf seine Mitgefangenen. Das Tageslicht fiel durch drei hoch gelegene vergitterte Fenster in den kreisrunden Verliesturm, so konnte er die Gesichter genau erkennen. Madeleine blickte starr vor sich hin. Hin und wieder schluchzte sie. Jesus de Burgos zeigte ein grimmiges Gesicht, so als wollte er gegen dieses Schicksal rebellieren, aber er war zu schwach. Ludolf von Suchen saß mit geschlossenen Augen da und murmelte ein Gebet vor sich hin. Sean stöhnte leise. Seine Wunde schmerzte, blutete aber nicht mehr. Dennoch war der Knappe kampfunfähig.
    Von woher sollte Rettung kommen? Die Lage war gänzlich hoffnungslos.
    Henri hätte schreien können. Er blickte an den kreisrund gemauerten Wänden empor bis zur Decke des Verlieses, von der Fledermäuse herabhingen. Ohnmächtig ballte er die Fäuste. Es war schrecklich, so ausgeliefert zu sein.
    Jesus de Burgos brach als Erster das Schweigen. Der alte Pilger, der sich als Templer zu erkennen gegeben hatte, wirkte wie ein eingesperrtes Tier, das über ein Opfer herfallen wollte. Aber gleichzeitig waren seine Bewegungen fahrig und kraftlos. Obwohl man allen die Ketten abgenommen hatte, stand niemand auf. Sie saßen im Stroh. Jede Bewegung in diesem Kerker schien vergeblich.
    Jesus sagte: »Erst vor vier Jahren wurde unser Orden auf Zypern aufgehoben. So kann man uns also erst seit vier Jahren jagen und verhaften. Auch nur ein einziger Tag davor, und man hätte nicht gewagt, Hand an uns zu legen.«
    Henri nickte ihm stumm zu. Erneut stöhnte Sean. Henri kroch zu dem Jungen hinüber und wischte über seine feuchte, heiße Stirn. Er konnte ihm nicht einmal ein wenig Wasser zur Linderung reichen.
    »Halte aus, mein Sean«, murmelte Henri. »Wir werden es schaffen.« Henri spürte selbst, wie kraftlos seine Worte waren.
    Jesus de Burgos sprach weiter. »Papst Johannes befahl damals dem Bischof

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