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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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bilden sollten. In Kastilien, wo Rodrigo Ibanez Meister war, hatte König Ferdinand der Vierte auf Er-, suchen König Philipps die Templer übel behandelt. Jetzt gingen sie deshalb teils in den Orden von Montesa, teils in den neuen Christusorden von Portugal über. Es war ein heilloses Durcheinander. Und sehr viele starben!«
    »Ich weiß«, sagte Henri. »Dabei traf es euch Brüder in Spanien offenbar nicht so hart wie unsere französischen Brüder. Wir wurden erbarmungslos verfolgt – ohne Ausnahme.«
    »Du bist Schotte, nicht wahr?«, fragte Jesus. »Wie war es in England zu dieser Zeit?«
    »Der englische König hatte nichts gegen den Orden. Deshalb wurden wir dort nicht so gnadenlos gejagt. Wer bekannte und um Absolution bat, erhielt diese, nachdem er ein Geständnis abgelegt hatte.«
    »Aber man musste abbitten, nicht wahr? Man musste seine Überzeugung verraten.«
    »Das musste man«, sagte Henri bitter. »Das Geständnis, das unsere Brüder ablegen mussten, hatte einen festgelegten Wortlaut. Es lautete: Ich bekenne, dass ich über einige Artikel der Ketzerei und andere Irrtümer wie die Verleugnung Christi, die Bespeiung des Kreuzes und andere im apostolischen Schreiben enthaltenen Sätze so anrüchig und schuldig geworden bin, dass ich mich von dieser Beschuldigung nicht reinigen kann, und deshalb bitte ich die Kirche, um nicht in schwere Strafe zu fallen, um Absolution.«
    »Es war unwürdig«, sagte Jesus. »Aber so konnte man wenigstens sein Leben retten.«
    »Wer nicht bekannte«, erzählte Henri weiter, »wurde in Gewahrsam genommen. So der Meister von Irland, Himbert Blanke, den ich persönlich kannte. Er wurde in Eisen gelegt, aber der König bedachte ihn mit einem Unterhalt. Die begüterten Templer in England und Schottland führten hernach meist eine weltliche Existenz, die mittellosen gingen ins Kloster, wo jeder täglich vier Denare zum Überleben erhielt. Der Meister von England, Wilhelm de la More, starb Anfang des Jahres 1313, sein Herz versagte beim Anblick all der Ungerechtigkeiten. Sein Nachlass betrug nicht mehr als vier Pfund Sterling, 19 Solidis und 11 Denare!«
    »Das ist bei Gott nicht viel!«, sagte Jesus.
    »Alles andere an Besitz hatten die Testamentsexekutoren geraubt! Es war damals für viele Verräter eine Gewinn bringende Zeit!«
    »Wie verhielten sich die Hospitaliter? Es gab viele in England!«
    »Das ist ein unrühmliches Kapitel«, erinnerte sich Henri. »Sie waren als Erben unseres Ordens eigentlich verpflichtet, für unsere unglücklichen Brüder zu sorgen, aber sie taten es nicht. Sie ließen jede Hilfe vermissen, sodass auch in England und Schottland viele Brüder mittellos und hilflos umherirrten. Sie mussten niedrige Dienste leisten, um überhaupt überleben zu können. Ich selbst konnte einigen helfen, denn ich hatte Zugriff auf die geheime Kasse unseres englischen Ordens. Zu den unglücklich Umherirrenden zählten übrigens nicht nur jene Templer, die sich bis dahin versteckt gehalten hatten, sondern auch Absolvierte. Auch in England hatten sich viele auf die Flucht begeben. Daher kam es, dass sich viele Flüchtlinge, nachdem sie lange den Widerwärtigkeiten eines ärmlichen und unsteten Lebens ausgesetzt gewesen waren, freiwillig stellten. Denn wer kann auf Dauer so erbärmlich dahinvegetieren?«
    »Aber war es nicht so, dass schon im Juli 1314 Raynald, der Erzbischof von Canterbury, die Hospitaliter ermahnte, die ehemaligen Templer, von denen einige vor Kummer und Elend umgekommen waren, zu unterstützen?«
    »Das ist wahr, Ludolf. Aber dennoch blieb es ein Elend!«
    Madeleine schlug plötzlich die Hände vors Gesicht. Sie weinte. Henri wusste nicht, wie er sie trösten konnte. Ludolf setzte sich an ihre Seite und legte ihr seinen Arm um die Schulter, aber Madeleine hörte nicht auf zu schluchzen.
    Henri versuchte erst gar nicht, ihr zuzureden. Er sprach einfach weiter.
    »In Paris«, erinnerte er sich, »war von päpstlicher Seite die Oberaufsicht über die Gefangenen dem Propst von Poitiers, Philipp von Vohet, von königlicher Seite dem Kammerherrn Johann von Janville anvertraut. Sie überboten sich an Gewissenhaftigkeit. Rund sechshundert Brüder waren in ihrer Gefangenschaft. Während der großen Untersuchung behandelte man die Gefangenen schlecht. Vorher waren schon viele in den Provinzialgefängnissen gestorben, teils eines natürlichen Todes, teils durch Folter und auf dem Scheiterhaufen. Ich erinnere mich an den 12. Mai 1310. Ein herrlicher, sonniger Tag,

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