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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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hatte er plötzlich das Gefühl, ein Zeichen nicht richtig gedeutet zu haben. Was war es nur?
    Er hatte etwas übersehen. Wie sagte Henri immer – ein Ding verdeckt das andere. Ja, das war es!
    Uthman wurde bewusst, dass er so sehr mit dem Inhalt des neuen Evangeliums beschäftigt gewesen war, dass er eine entscheidende Tatsache ganz übersehen hatte. Es hatte mit dem Schicksal dieses ermordeten Sakristans zu tun. Es hatte sich alles nahtlos ineinander gefügt. Jemand hatte sogar ein Bild seines bevorstehenden Todes gemalt. Vielleicht, um ihn zu warnen!
    Oder war es erst entstanden, nachdem der Mord ausgeführt worden war? Von wem? Von diesem Bruder Askenios?
    Uthman rief sich diesen Mönch kurz in Erinnerung zurück. Am Morgen hätte er eine Verabredung mit ihm gehabt, um zu erfahren, ob er die geheime Schrift sehen durfte. Aber so, wie die Dinge jetzt standen, war es viel zu gefährlich, mit Askenios zusammenzutreffen. Vielleicht waren sie schon gewarnt.
    Wie würde Askenios jetzt reagieren, wenn er erfuhr, dass der fremde Pilger schon wieder abgereist war? Würde er Verdacht schöpfen?
    Natürlich schöpft er Verdacht, überlegte Uthman. Nach allem, was geschehen ist, muss er es jetzt klar sehen. Er gehört ohnehin zu jenen, die überall Verschwörungen wittern.
    Dieser Askenios, dachte Uthman, ist einer jener Kranken, die in jedem Menschen einen Feind sehen, den sie bekämpfen müssen. Die Welt ist voll von solchen Menschen, dachte Uthman.
    Askenios würde wahrscheinlich zur Krypta eilen. Er würde dort aber nichts Verdächtiges entdecken. Uthman hatte die Schrift auf den Leib des toten Sakristans zurückgelegt. Es war tatsächlich das Evangelium des Matthäus gewesen, er hatte die ersten Seiten flüchtig gelesen. Dann hatte er sich entschlossen, es nicht zu rauben. Er wollte alles unberührt aussehen lassen. Askenios sollte nicht so schnell auf seine Spur geraten.
    Uthman ritt weiter.
    Der Weg führte über einen schmalen Schotterweg hinab in das Tal, in dem Enkomi lag. Er sah in der Ferne, wie auf der Straße nach Famagusta sich ein langer Zug in Bewegung gesetzt hatte. Reiter in dunkler Kleidung, die etwas eskortierten. Uthman war zu weit entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können. Wahrscheinlich ein Kaufmannszug, der Schutz benötigt, dachte er.
    Uthman rekapitulierte noch einmal, was er im Kloster gesehen hatte. Was war es, das ihm insgeheim zusetzte?
    Sie hatten Barnabas getötet und mit einem Matthäus-Evangelium bestattet. Sie hatten den Sakristan ermordet und mit einem Matthäus-Evangelium in den Sarg gelegt.
    Was wollten sie damit zum Ausdruck bringen? Sicher rechneten sie nicht damit, dass Fremde und Unbefugte in diesen Sarg blickten, also war es für sie nur ein Ritual, das nicht für Außenstehende gedacht war.
    Sie taten es nur für sich.
    Ja, es war ein Ritual. Damit hofften sie, einen Schlusspunkt zu setzen.
    Jemand hatte etwas Frevlerisches getan und war bestraft worden. Er war mit den Insignien seines Frevels bestattet worden. Hatte der Sakristan unerlaubterweise das Evangelium kopiert? Wogegen sollte er sich damit vergangen haben?
    Uthman dachte angestrengt nach. Aber er kam zu keinem Ergebnis.
    Er hatte das Tal von Enkomi jetzt fast erreicht. Er ritt an einem Hof mit Zisterne vorbei und lenkte sein Pferd zum nördlichen Stadttor. Als er es erreichte und warten musste, hatte er plötzlich einen Einfall.
    Das Ritual bestand darin, dass sie den Sakristan mit Barnabas gleichsetzten! Beide waren gefährliche Autoren, die gefährliche Schriften angefertigt hatten. Man bannte sie, bis sie ein einziger ketzerischer Leib geworden waren.
    Und damit war die Gefahr getilgt, die von diesem Apostel ausging!
    Sie waren nun beide tot und begraben, mit ihren gefährlichen Schriften, die in den Särgen vermodern würden. Henri hätte den Sarkophag des heiligen Barnabas aufbrechen müssen, dachte Uthman, um herauszufinden, ob dieser mit einem Papyrus begraben worden war.
    Oder war es das neue Evangelium gewesen, das nun aufgetaucht war, mit dem Barnabas bestattet worden war?
    Hatten sie es aus dem Grab herausgenommen? Aber hieß es nicht, Barnabas sei mit dem Evangelium des Matthäus gefunden worden?
    Uthman kam nicht weiter. Er vermochte nicht zu entscheiden, was richtig war und was falsch. Aber er erinnerte sich jetzt wieder an gewisse Stellen in dem neuen Evangelium, über die er bei der ersten Durchsicht hinweggelesen hatte.
    Jetzt fielen sie ihm wieder ein.
    Und er erschrak.
    Er erinnerte sich an eine

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