Das neue Evangelium
polternden Schritten. Sie durchquerten den Burghof, der mit kleinen Steinen gepflastert war, und betraten eine Wachstube.
Der Wachmann erklärte einem anderen den Auftrag des französischen Hauptmanns aus dem Mutterland. Der Wachmann nickte und salutierte.
»Sie sind im Turm«, sagte er. »Alle zusammen, auch die Frau. Stellt euch das vor, Tag und Nacht allein mit einer so schönen, jungen Frau! Habt ihr ihre Brüste gesehen? Die werden das doch sicher nutzen, was?« Er lachte dröhnend.
»Ach was«, sagte der andere, »die sind doch viel zu schwach dafür. Da müssten wir schon ran.« Auch er lachte.
»Lasst die Witze, oder ich lasse euch hinrichten!«, schrie der Hauptmann. »Die Frau ist die Gattin des Vizekonsuls der Ille de France!«
»Bei Gott!« Der Wachhabende bekreuzigte sich. »Machen wir schnell, damit wir es hinter uns bringen.«
Sie verließen die Wachstube. Die erste Wache kehrte zum Burgtor zurück. Die zweite führte den französischen Hauptmann zum Empfangssaal der Burg.
»Ihr müsst dort noch einmal alles vortragen, Hauptmann!«, erklärte er beflissen. »Denn ich kann euch die Gefangenen natürlich nicht herausgeben. Das könnte mich meinen Kopf kosten.«
»Zum Empfangssaal!«, sagte der Hauptmann bestimmt.
»Ihr versteht, wir haben unsere Vorschriften, wir…«
»Vorwärts. Auch ich will es hinter mich bringen.«
Die Gefangenen harrten aus in der Düsternis ihres Kerkers. Noch einmal hatte Ludolf den Wachmann draußen auf dem Gang angefleht, ihnen Wasser zu geben. Sean litt unter entsetzlichem Durst, und auch die anderen konnten diese Pein nicht mehr lange ertragen. Ihre Zungen fühlten sich an wie Pelze, die am Gaumen scheuerten.
Als sie schon aufgeben und sich in ihr Schicksal ergeben wollten, da wurde die Luke in der Kerkertür aufgemacht. Der Wachmann schnarrte:
»Ihr werdet verlegt. Und wenn ihr keine Schwierigkeiten macht, dann bekommt ihr Wasser.«
Die Gefangenen kamen taumelnd auf die Füße. Henri stützte Sean, der vor Schmerzen stöhnte, aber bei vollem Bewusstsein war. Sechs durch die sich quietschend öffnende Tür eintretende Wachleute trieben die Gefährten an, den Turm zu verlassen. Sie stießen sie vorwärts, einen modrigen Gang entlang. Es ging in die Tiefe. Als sie über eine feuchte Treppe hinabgestiegen waren, erwartete sie schon ein Schließer. Er wies mit einem Schlüsselbund in ein Verlies. Die Gefangenen taumelten hinein.
»Wasser«, stieß Sean hervor.
»Hinein mit euch, dann gibt es Wasser!«, sagte ein Wärter und lachte grob.
Die Gefangenen betraten den Kerker, in den durch ein hoch gelegenes Fenster ein wenig Licht fiel. Sie mussten sich auf Stroh setzen, das abscheulich stank. Als sie saßen, kam ein Wächter mit einem Holzeimer und einer Kelle herein. Er stellte das Gefäß auf den Boden.
»Da, sauft!«
Kurz bevor Henri die Verteilung übernehmen wollte, roch er, dass sich in dem Eimer kein Wasser, sondern Essig befand. Er stieß einen Fluch aus und trat gegen den Eimer. Draußen lachte der Wärter.
»Ihr Unmenschen!«, schrie Madeleine.
»Es macht ihnen Spaß, ihre Gefangenen zu quälen«, sagte Henri leise.
Aber dann öffnete sich die Bohlentür erneut. Eine Schwadron trat ein, in ihrer Mitte ging ein Soldat, der einen Wasserbehälter trug. Er stellte ihn ab.
»Trinkt! Es ist sowieso das letzte Wasser, das ihr zu euch nehmt!«
Die Wachleute gingen hinaus. Henri übernahm die Verteilung des Getränks. Sean bekam es zuerst, dann Madeleine. Das Wasser schmeckte brackig, aber es schien sauber zu sein.
»Wir sind gerettet«, sagte Ludolf. »Denn warum sollten sie sich sonst mit uns solche Mühe machen?«
Als Henri zuletzt trank, wurde die Türluke aufgezogen. Ein neuer Wachsoldat sagte mit brüchiger Stimme:
»Wisst ihr, wo ihr seid? Nein? Hahaha! Dies ist der Raum für die zum Tod Verurteilten! In der Nacht werdet ihr hingerichtet! Betet schon mal!«
Die Luke wurde zugeschlagen. Das Lachen entfernte sich. Über die Gefangenen legte sich erneut bleierne Hoffnungslosigkeit.
Im Empfangssaal der Stadtburg, in deren Tiefen sich der städtische Kerker befand, residierte der Statthalter des französischen Königs. Pierre de Libertin war das höfische Leben gewohnt, und er übte sein Amt in Famagusta nur widerwillig aus, aber er gehorchte seinem König. Als treuer Vasall stellte er den Befehl nicht in Frage, auf Zypern für Ordnung zu sorgen. Und Famagusta war eine blühende Stadt.
Nur der ständig sich bewegende Untergrund machte
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