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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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weiteres Problem mit der Zeit ist ihre Richtung. Die meisten Vorgänge in der Physik, besonders wenn man sich kleine Teilchen ansieht, sind symmetrisch in der Zeit, das heißt, sie könnten prinzipiell sowohl vorwärts als auch rückwärts ablaufen. Angenommen, man dreht einen Film, in dem zwei Atome aufeinander zufliegen, kollidieren und dann wieder voneinander wegfliegen. Weiterhin angenommen, man würde diesen sehr langweiligen Film jemandem zeigen, der bei der Atomkollision nicht dabei war, und zwar würde man ihn rückwärts abspielen. Für den Beobachter sähe das wie ein ganz normaler Film aus, er könnte nicht erkennen, ob das Geschehen jetzt vorwärts oder rückwärts abläuft – der Vorgang ist symmetrisch in der Zeit oder «zeitumkehrinvariant».
    Aber einige wesentliche Gesetzmäßigkeiten halten sich nicht an diese schöne Regel, wie jeder aus der täglichen Anschauung bestätigen kann: Ein Film vom Absturz eines Flugzeugs sieht rückwärts abgespielt ganz anders aus als vorwärts. Flugzeuge zerschellen beim Absturz am Boden, fügen sich aber nicht wieder zusammen. Heiße Getränke kühlen sich von alleine ab; selten jedoch fangen kalte Getränke von alleine an zu kochen. Wirft man einen Stein ins Wasser, dann entstehen kreisförmige Wellen, die sich von ihrem Ausgangspunkt wegbewegen, nicht umgekehrt. Auf irgendeine Weise hat die Natur also einen eingebauten Zeitpfeil. Warum das so ist und warum er ausgerechnet in die Richtung zeigt, die wir normalerweise Zukunft nennen, gehört zu den zentralen Fragen in der Physik.
    Am Schluss noch ein praktisches Problem. Die Wissenschaften streiten sich außerdem darüber, wer dafür zuständig ist, die Zeit zu messen. Traditionell ist dies die Aufgabe der Astronomie. Der Umlauf der Erde um die Sonne und die Drehung der Erde um sich selbst legen die Länge von Jahr und Tag fest, und das sollte auch so bleiben, argumentieren Astronomen wie Steve Allen vom Lick Observatory in Kalifornien. Leider ist die Erde kein besonders zuverlässiger Taktgeber, ihre Drehung verlangsamt sich im Laufe der Zeit. Deshalb ist jedes (astronomisch festgelegte) Jahr um ein paar Zehntelsekunden länger als sein Vorgänger.
    Das wissen wir natürlich nur, weil die Zeit mittlerweile nicht mehr nach dem Sonnenstand bestimmt wird, sondern mit physikalischen Präzisionsuhren. Physiker messen die Zeit mit Hilfe von Atomuhren: Wechselt ein Elektron in einem Atom von einem Energieniveau auf ein anderes, so sondert es ein Lichtteilchen mit einer bestimmten Frequenz ab. Die Schwingung dieses Photons wird zur Definition der Sekunde verwendet (→Kilogramm).
    Atomuhren bestimmen heute schon unsere offiziellen Zeitsysteme. Weil die Erde der physikalischen Zeit hinterherhinkt, wurde ein Kompromiss gefunden, um die Zeit weiterhin im Takt der Erdrotation zu halten: Immer, wenn die Erde eine Sekunde auf die Atomuhrzeit verloren hat, wird eine «Schaltsekunde» eingelegt – der Tag erhält eine zusätzliche Sekunde, zum Beispiel am 31. Dezember 2008. Schaltsekunden sind keine perfekte Lösung und technisch aufwendig, weswegen Zeitexperten wie Dennis McCarthy, der bis 2005 den beneidenswerten Titel «Director of the Directorate of Time» am United States Naval Observatory in Washington führen durfte, sie am liebsten abschaffen würden. Der Wegfall der Zeitsekunden jedoch hieße, die Zeit unabhängig von astronomischen Taktgebern zu definieren. Wie Allen vorrechnet, hätte dies dramatische Konsequenzen – schon im Jahr 6360 würde der Dienstag auf den Mittwoch fallen.
    Es geht also darum, von welcher Art Zeit wir uns regieren lassen wollen, von einer Zeit, die eiert und immer wieder korrigiert werden muss, oder von einer, die wirklich exakt gleichmäßig abläuft, aber dazu führt, dass es irgendwann mittags dunkel ist. Der Streit um die Zeit ist eine missliche Angelegenheit, weil es ohne kompetente Zeitmessung nicht mehr geht. Zum Beispiel verlassen sich Navigationssysteme von Flugzeugen und Schiffen darauf, dass die Zeit auf Nanosekunden genau ist. Würde man sie versehentlich um eine Sekunde verstellen – weltweites Chaos wäre die Folge. Bomben würden an der falschen Stelle explodieren, das Weltraumteleskop würde die falschen Sterne ansehen und die Fernsehprogramme kämen durcheinander. Es wäre das Ende der Welt, wenigstens für einen kurzen Augenblick.
    De Selby übrigens hatte gar nicht vor, die Zeit zu erforschen. Alle seine Entdeckungen zum Wesen der Zeit waren Zufall. Das eigentliche Ziel

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