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Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Titel: Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Robertson
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aufgetaucht war, war sie irritierenderweise verstimmt. Zum Teufel mit ihm, dachte sie. Mir doch egal.
    Gulliver war den ganzen Vormittag über bei einer Probe für das nahende Konzert gewesen. Der Vater eines anderen Musikschülers hatte ihn abgeholt– in, wie Aishe augenverdrehend zur Kenntnis nahm, einem brandneuen Audi Q7. Einer hässlichen, umweltzerstörenden Neureichenkarre. Ich freue mich ja, dass Gulliver Freunde hat, dachte sie, aber ich beabsichtige nicht, mich in absehbarer Zeit mit deren Eltern bekannt zu machen. Solche Leute veranstalten Dinnerpartys, wo sie über den Wert ihrer Häuser und Aktien reden. Da würde ich mir eher eine brennende Zigarette auf dem Augapfel ausdrücken!
    So ganz allein im Haus, schnappte Aishe sich einen Roman von Ian Rankin und versuchte zu lesen, stellte aber fest, dass ihre Gedanken ständig zu Patrick und Benedict abschweiften. Die Gedanken an Patrick waren leichter zu händeln, weil sie nur schlichte Wut in ihr hervorriefen. Wenn die Familie Patrick in einem erneuten Versuch hergeschickt hatte, ihr vorzuschreiben, wie sie zu leben hatte, dann konnte die Familie zur Hölle fahren. Eigentlich sah sie keinen Grund, warum ihr Gespräch mit Patrick aus mehr als diesen Worten bestehen sollte. Mit Anselo, dem letzten erfolglosen Botschafter der Familie, hatte sie erheblich mehr Worte gewechselt. Neunzig Prozent davon waren jedoch überflüssig gewesen und hatten ihrem Sieg einiges an Süße genommen. Vieles, was ich zu ihm gesagt habe, bedaure ich, dachte Aishe. Aber vor allem bedauere ich, dass wir uns seitdem nicht mehr gesprochen haben.
    Die Gedanken an Benedict waren heikler. Sie hatte keinerlei Problem damit, mit einer Fülle von Klagen gegen ihn aufzuwarten: er war ein Jüngelchen, ein Klugscheißer, ein Vagabund, eine rückgratlose, feige Heuschrecke, die selbst bei der dämlichsten aller Blondchen unterm Pantoffel stand. Aber jedes Mal, wenn sie ihn im Geiste aufspießte, mit Nadeln spickte wie eine Voodoo-Puppe, erinnerte sie sich daran, wie gut sich seine Hände auf ihrer Haut angefühlt hatten, wie er sie mit aufrichtiger Zuneigung und Hingabe angesehen hatte, während sie in dem postorgastischen Nachbeben dalag, das er verursacht hatte. In all den Jahren hatten nur sehr wenige sie so angesehen…
    Aishe schleuderte das Buch quer durchs Zimmer. Es knallte gegen die Wand, prallte zurück und kegelte die Fotos auf dem Regal um. Das von Frank landete hart auf einem von ihren Geschwistern, und sie hörte Glas splittern.
    » Scheiße«, sagte sie und beeilte sich, die Rahmen vom Boden aufzuheben.
    Das Foto der Herne-Geschwister war unversehrt. Aber das Glas des anderen war gesprungen und zwar direkt über Franks Gesicht. Aishe wusste, dass sie den Rahmen leicht austauschen und das Foto so gut wie neu wieder ins Regal stellen konnte. Dennoch kamen ihr die Tränen, und wenn das Glas nicht gesprungen gewesen wäre, hätte sie das Foto an ihre Brust gedrückt und gewiegt.
    Stattdessen legte sie es flach aufs Regal und stellte das Foto ihrer Familie wieder an seinen ursprünglichen Platz. Der neunjährige Anselo sah sie mit dunklen, ernsten Augen an. Mit dem Finger berührte sie kurz sein Gesicht.
    Ein Blick auf ihre Uhr zeigte ihr, dass es schon nach Mittag war. Zeit, ins Tierheim zu gehen. Als sie die Haustür zuzog, überkam Aishe ein alarmierendes Gefühl der Endgültigkeit. Die Tür war schon tausendmal hinter ihr zugegangen, aber nicht einmal hatte Aishe sich beunruhigt gefragt, was wohl auf sie wartete, wenn sie sie bei ihrer Rückkehr wieder öffnete.
    » Ich sehe aus wie ein Riesenarschloch.«
    Patrick hielt das Foto seines jüngeren Selbst mit spitzen Fingern von sich, als handelte es sich um ein gebrauchtes Taschentuch.
    » Nein, tust du nicht.« Gulliver nahm ihm das Foto ab und legte es vorsichtig in die Schachtel zurück. » Du siehst aus wie Marlon Brando in Der Wilde.«
    » Ja?« Patrick hob eine Augenbraue.
    » Gekreuzt mit Bob Hoskins in Super Mario Brothers.«
    Patrick verschränkte die Arme über seinem beeindruckenden Brustkorb. » Meinst du, du kennst mich schon gut genug, um eine dicke Lippe zu riskieren?«
    » Kindesmisshandlung ist hier illegal«, erwiderte Gulliver. » Du wirst es also schlucken müssen.«
    » Du erinnerst mich an einen deiner jungen Cousins«, sagte Patrick. » Heißt Tyso. Die gleichen roten Haare. Die gleiche große Klappe.«
    Gulliver nahm das Foto von den Männern bei der Hochzeit heraus. Er zeigte auf seinen Großonkel Jenico.

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