Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
war.
Dennoch gab es etliches an ihm, was sie in Alarmbereitschaft versetzte. Ihr Überlebensinstinkt tickte immer noch wie ein Geigerzähler vor dem geheimen Plutoniumlager eines Schurkenstaates. Außerdem, dachte Aishe, beweist seine Bewunderung für Mo unzweifelhaft, dass mit ihm etwas grundlegend nicht stimmt.
Sie runzelte die Stirn. » Wieso interessiert es dich überhaupt, was ich von dir halte?«
Benedict blinzelte und wandte den Blick ab. Sie sah, wie seine Brust sich schneller hob und senkte, als müsste er allen Mut zusammennehmen, um zu antworten.
» Weil«, sagte er und sah sie direkt an, » es schön wäre, wenigstens einen Verbündeten auf der Welt zu haben.«
Plötzlich hatte Aishe keine Lust mehr auf ihr Baguette. Sie ließ es auf den Teller fallen. Seine Antwort war weitaus ehrlicher, als sie erwartet hatte, und es gefiel ihr gar nicht, wie unbehaglich sie sich dabei fühlte.
» Wieso ich?«, fragte sie nach kurzem Zögern. » Wieso wäre ich eine gute Verbündete?«
Er lächelte kurz. » Findest du nicht, dass wir einiges gemeinsam haben?«
Vor lauter Verblüffung gab auch Aishe eine ehrliche Antwort. » Darüber hab ich noch nicht nachgedacht.« Sie runzelte die Stirn. » Aber eigentlich nicht. Wir sind zwar beide Engländer, aber das war’s auch schon.«
» Du hast mir vorgeworfen, ich würde immer nur ausweichen.« Benedict wirkte verlegen, aber auch entschlossen. » Und damit hattest du recht. Ich weiche immer nur aus. Ich bin vor zehn Jahren weggelaufen und seitdem auf der Flucht. Vor wem ich wegrenne? Vor meiner Familie. Kommt dir das irgendwie bekannt vor?«
» Tja, also…«
» Mum rennt nicht weg.«
Erschrocken wandten sich beide zur Küchentür. Gulliver stand dort, die Hände neben den Hüften, als wollte er kämpfen oder zwei Revolver aus dem Holster ziehen.
» Nicht?«, fragte Benedict.
Gulliver schüttelte den Kopf. » Man muss nur wegrennen, wenn man verfolgt wird. Und Mums Familie hat schon vor Jahren damit aufgehört. Stimmt’s?«
Aishe war sich nicht sicher, wohin das führen sollte, aber ihr Instinkt riet ihr zur Vorsicht.
» Irgendwann haben sie beschlossen, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich in Ruhe gelassen werden wollte«, sagte sie.
Gulliver starrte seine Mutter an. » Und so ist es jetzt, nicht wahr? Wir haben unsere Ruhe. Wir sind ganz allein, nur du und ich.«
» Was ist los, mein Großer?«, fragte seine Mutter sanft. » Wie kommst du plötzlich darauf?« Dann hatte sie einen Geistesblitz. » Hast du deinem Onkel gemailt?«
Gulliver nickte. » Er hat gerade zurückgemailt. Er meinte, es sei schön, von mir zu hören. Ich soll dich grüßen.«
» Und?«
» Nichts und!«, fauchte Gulliver. Jetzt versteifte er seine Arme und zeigte anklagend zu Boden. » Das war’s! Schön. Nett. Nach vierzehn verfickten Jahren!«
» Gull…«
» Ich bedeute ihnen nichts!«, brüllte er. » Weil du ihnen jetzt nichts mehr bedeutest! Du hast mich nie gefragt, ob ich keine Familie wollte. Aber dich hat ja nur interessiert, was du wolltest. Keine Familie! Nur du und ich!«
» Das ist nicht fair, Gulliver. Wenn Frank nicht gestorben wäre…«
» Er war dein Mann. Ich hatte mit Frank nichts zu tun!«
» Das ist nicht fair«, wiederholte sie fassungslos und mit zitternden Lippen.
Gulliver atmete immer noch heftig, brüllte aber nicht mehr. » Und wie fair warst du mir gegenüber? Ich habe keinen Vater. Ich habe keine Familie. Ich bin nichts. Ein Niemand. Weil du es so wolltest.«
Er warf Benedict einen Blick zu, der es schaffte, aggressiv und entschuldigend zugleich zu sein. » Heute lerne ich nicht. Ich geh raus.«
Dann riss er sein Sweatshirt vom Treppengeländer und verschwand.
Aishe merkte, dass ihr die Knie weich wurden, und ließ sich schwer auf den nächsten Stuhl sacken. Sie legte die Hand auf den Mund und starrte auf die geschlossene Haustür.
Benedict sagte erst nach einer ganzen Weile etwas. » Hat deine Familie dich wirklich verstoßen?«
Aishe schüttelte den Kopf. » Das dachte ich eigentlich nicht. Aber vielleicht doch…«
» Vielleicht?«
» Vielleicht hatten sie es satt zu warten.«
Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und blinzelte wütend. Sie würde nicht weinen. Keinesfalls.
» Mal nachfragen?«, wagte Benedict sich vor. » Ihm zuliebe?«
» Was geht dich das an!«, fauchte Aishe, immer noch die Haustür im Blick. » Wer weiß, ob du morgen überhaupt noch hier bist.«
Sie hörte einen Stuhl über den Boden scharren, als Benedict
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