Das Niebelungenlied
ihrer Gesellschaft. Er erwartete die Freuden der Liebe und ließ Prünhilt nicht aus den Augen. Endlich bat man, die Spiele zu beenden, der König wolle Beilager halten. Prünhilt und Kriemhilt fanden sich vor der Saaltür zusammen – noch waren sie nicht erzürnt. Ihr Gesinde versammelte sich, die Kämmerer kamen mit Lichtern. Das Gefolge der Könige teilte sich, und viele gingen mit Sîfrit. Die beiden Könige waren in der frohen Erwartung, daß ihre Liebe nun die schönen Frauen besiegen würde. Sîfrit genoß die Liebe mit hohen Freuden, und Kriemhilt wurde ihm so lieb wie sein Leben, als er neben ihr lag. Er hätte sie nicht für tausend andere Frauen hingegeben. Mehr will ich von seinen Umarmungen nicht sagen. Aber nun hört, wie es Gunther mit Prünhilt erging. Er hätte bei anderen Frauen wahrlich glücklicher gelegen. Das Gefolge hatte ihn verlassen und die Tür hinter ihm geschlossen. Er hoffte auf die Zärtlichkeiten ihres schönen Leibes, aber das war noch lange hin. Sie bestieg das Bett im schneeweißen Hemd, und er dachte: ›Nun besitze ich alles, was ich auf Erden begehrt habe‹, und ihre Schönheit erregte zu Recht sein Wohlgefallen. Er löschte das Licht, ging zu ihr und legte sich neben sie und umarmte sie froh. Jetzt hätte er die schöne Frau wohl lieben können, wenn sie ihn zu sich gelassen hätte. Allein sie wehrte sich so heftig, daß es ihn kränkte. Er dachte Liebe zu finden, aber Haß und Feindseligkeit traten ihm entgegen. »Laßt das sein«, sagte sie, »daraus wird nichts. Merkt Euch: Ich will so lange Jungfrau bleiben, bis ich die Wahrheit weiß.« Gunther war empört. Er kämpfte um ihre Liebe und zerknüllte ihr Gewand, aber sie griff nach dem starken Gürtel, den sie um ihren Leib trug, und band ihm damit die Hände und dieFüße zusammen, trug ihn zu einem Nagel und hängte ihn dort an die Wand, denn er störte sie im Schlaf. Er hätte leicht zu Tode kommen können durch ihre Kräfte. Er hatte der Herr sein wollen, und nun flehte er sie an, seine Fesseln zu lösen. »Ich traue mir nicht mehr zu, Euch jemals zu besiegen, und will Euch auch nicht mehr zu nahe kommen.« Sie blieb ruhig auf dem weichen Lager liegen und fragte nicht danach, wie es ihm etwa ergehen mochte. Er mußte die ganze Nacht da hängen, bis das Morgenlicht durch die Fenster kam, und wenn er je ein kräftiger Mann gewesen war, so war er es jetzt nicht mehr. »Nun sagt, Herr Gunther: Macht es Euch etwas aus, wenn Eure Kämmerer Euch von Frauenhänden gebunden finden?« fragte ihn das stolze Mädchen. – »Das würde Euch übel bekommen«, sagte er, »und mir nicht zur Ehre gereichen. Um Eurer Güte willen laßt mich nun neben Euch liegen. Wenn Euch meine Liebe so sehr zuwider ist, will ich Euch nicht mehr berühren.« Sie band ihn los und ließ ihn wieder auf die Füße kommen. Er legte sich auf das Bett, aber er hielt sich so weit von ihr, daß er nicht an ihr Gewand kam, und das wollte sie sich auch ausgebeten haben. Am Morgen kamen die Kämmerer mit neuen Kleidern. So viel Freude auch zur Schau getragen wurde am Ehrentag des Königs, er selbst war traurig. Nach der ehrwürdigen Sitte des Landes ging er mit Prünhilt in die Kirche zur Messe, auch Sîfrit nahm daran teil, und Gedränge entstand. Gemäß ihrem königlichen Rang lagen Krone und Mantel für sie bereit, darin wurden sie geweiht. Danach sah man sie alle vier heiter unter der Krone stehen. Ihnen zu Ehren nahmen viele junge Knappen das Schwert, es waren wohl sechshundert. Das war ein Freudentag in Burgund. Die Lanzen klirrten in der Hand der Krieger, und in den Fenstern saßen die Mädchen und sahen die Schilde vor sich leuchten. Gunther verließsein Gefolge. Was die anderen auch taten, ihn sah man traurig einhergehen.
Sîfrit war ganz anderer Stimmung. Er wußte wohl, was Gunther verärgerte. Er ging zu ihm hin und sagte: »Laßt mich hören, wie es Euch heute nacht ergangen ist?« Gunther antwortete: »Mit Schande und Schaden. Ich habe mir den Teufel ins Haus geholt. Als ich sie lieben wollte, hat sie mich gebunden und an einem Nagel an die Wand gehängt. Bis zum Morgen hing ich da in gefährlicher Höhe, ehe sie mich losband; und wie behaglich hat sie gelegen! Ich sage dir das unter Verwandten und im Vertrauen.« Sîfrit sagte: »Das tut mir leid, und ich will es dir beweisen, wenn du nichts dagegen hast. Heute nacht soll sie so dicht bei dir liegen, daß sie dir ihre Liebe nicht mehr verweigert.« Nach all der Drangsal hörte Gunther dies gern.
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