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Das Niebelungenlied

Das Niebelungenlied

Titel: Das Niebelungenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Bierwisch
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wurde von der Bahre gehoben, aber Kriemhilt wollte sie noch nicht begraben lassen, und alle Leute sollten Kummer und Mühsal davon haben. Der Tote wurde in kostbaren Stoff gehüllt. Jedermann weinte. Auch Uote mit ihrem Gefolge klagte um den prächtigen Mann. Als bekannt wurde, daß er eingesargt worden sei und die Trauermesse stattfinde, entstand ein großes Gedränge: Was für Opfergeld wurde da gegeben für seine Seele! Er hatte neben seinen Feinden doch Freunde genug. Kriemhilt sagte zu ihren Kämmerern: »Die ihm Gutes gegönnt haben und mir ergeben sind, sollen um meinetwillen Bußübungen auf sich nehmen. Man soll sein Gold verteilen um seiner Seele willen.« Kein Kind, das schon Verstand genug hatte, blieb zu Hause. An diesem Tag wurden über hundert Messen gesungen. Die Freunde Sîfrits drängten sich. Als der Gesang beendet war, verlief sich das Volk. Da sagte Kriemhilt: »Ihr sollt mich heute nacht die Totenwache nicht allein halten lassen. Meine ganze Freude war in ihm beschlossen. Drei Tage und drei Nächte will ich ihn noch ansehen, bis ich sein Bild nicht mehr vergessen kann. Vielleicht fügt es Gott, daß der Tod auch mich ergreift? Dann hätte meine Not ein Ende.« Die Leute aus der Stadt waren nach Hause gegangen. Kriemhilt bat die weltlichen und die Klostergeistlichen und Sîfrits ganzes Gesinde, zu bleiben und ihm die Ehre zu erweisen. Kummervoll und mühsam waren Nacht und Tage. Viele fasteten, die anderen bewirtete Sigemunt reichlich. Wer Messe lesen konnte, hatte viel zu tun in diesen drei Tagen, aber er wurde mit Opfergaben reich belohnt. MancherArme wurde wohlhabend dabei. Die Armen, die kein Opfergeld aufbringen konnten, wurden mit Gold aus Sîfrits eigener Kammer ausgestattet. Da er nun nicht leben sollte, wurden viele tausend Mark für sein Seelenheil aufgebracht. Kriemhilt verteilte die Pachtgelder von ihrem Grundbesitz rings in den Ländern an die Klöster und an die Armen und Kranken. Sie verschenkte Silber und Kleidung an die Bedürftigen. So bewies sie ihre Liebe zu Sîfrit. Man sagt, daß in den vier Tagen an die dreißigtausend Mark an die Armen verteilt worden sind um seiner Seele willen, oder noch mehr. Seine Schönheit und sein Leben waren zunichte. Am dritten Morgen zur Zeit der Messe war der Platz vor der Kirche dicht gefüllt mit weinendem Volk, das Sîfrit den letzten Dienst erwies, wie es lieben Freunden zukommt. Als der Gottesdienst und der Gesang zu Ende waren, wurde Sîfrit aus der Kirche ans Grab getragen. Laut weinend begleiteten ihn die, denen sein Tod naheging. Die Geistlichen sangen und lasen am Grab. Bevor Kriemhilt an das Grab treten konnte, überwältigte der Jammer sie so, daß man ihr frisches Wasser übers Gesicht gießen mußte. Sie war sehr unglücklich; es war ein Wunder, daß sie es überhaupt überstand. Endlich sagte die Königin: »Ihr Männer Sîfrits, tut mir etwas zuliebe. Laßt mir in meinem Jammer die kleine Freude, daß ich sein Gesicht noch einmal sehe.« Sie bat so tieftraurig, daß der Sarg aufgebrochen werden mußte. Man führte sie zu ihm. Sie hob seinen Kopf an mit ihren Händen und küßte den Toten. Sie weinte blutige Tränen. Es war ein schrecklicher Abschied. Man trug sie davon – gehen konnte sie nicht mehr, sie war ohnmächtig geworden. Sie hätte sterben mögen vor Leid. Nach dem Begräbnis waren die Nibelungen in tiefe Trauer versunken. Sigemunt war nicht mehr fröhlich. Da war so mancher, der während der drei Tage nicht gegessen und nicht getrunkenhatte vor Betrübnis. Doch mochten sie auch nie von der Leiche gewichen sein: sie erholten sich von ihrem Kummer, wie es stets geschieht.

18 . WIE SIGEMUNT HEIMKEHRTE
    Kriemhilts Schwiegervater forderte sie zur Rückreise auf. »Ich glaube, wir sind unbeliebte Gäste in diesem Land. Liebe Kriemhilt, kommt mit in mein Reich. Ihr sollt es nicht entgelten müssen, daß der Verrat uns Euren edlen Mann geraubt hat; ich will Euch immer lieben um meines Sohnes willen, des seid gewiß. Ihr sollt auch alle Gewalt haben, die Sîfrit Euch bei seinen Lebzeiten gegeben hat. Das Land und der Hof sollen Euch untertan sein. Sîfrits Männer sollen Euch dienen.« Den Knechten wurde die Reise angekündigt. Sie eilten zu ihren Pferden. Sie mochten nicht mehr bei ihren Feinden bleiben. Die Frauen und Mädchen suchten die Kleider zusammen. Als König Sigemunt schon im Aufbruch war, baten Kriemhilts Verwandte, sie möge doch hier bei ihrer Mutter bleiben. Sie antwortete: »Das ist unmöglich. Wie soll ich

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