Das Niebelungenlied
verwaltete die Schatzkammer und gewann ihr Freunde. Niemand konnte sich ihr widersetzen. Unablässig nahm sie sich vor, den König zu bitten, er möge ihr doch den Besuch ihrer Verwandten im Hunnenland gönnen. Niemand bemerkte ihre schlimme Absicht.
In einer Nacht, als sie bei dem König lag (er hatte sie umschlungen, sie war ihm so lieb wie sein Leben), dachte sie an ihre Feinde. »Mein geliebter Herr«, sagte sie, »ich möchte Euch gern bitten, mir zu beweisen, wenn ich das verdiene, wie Ihr meine Verwandten liebt.« Des Königs Herz war ohne Falsch, und er erwiderte: »Das will ich Euch wohl zeigen. Ich freue mich über alles Gute, was ihnen widerfährt, denn ich habe nie bessere Freunde durch die Ehe gewonnen.« Da sagte die Königin: »Ich habe viele edle Verwandte, wie Ihr wißt, und es schmerzt mich, daß sie mich nicht besuchen. Ich höre, daß mich die Leute immer nur ›die Fremde‹ nennen.« Etzel antwortete: »Meine liebe Frau, wenn es ihnen nicht zu weit ist, will ich gern jeden hierher einladen, den Ihr hier sehen möchtet.« Der Königin war seine Bereitwilligkeit lieb. Sie sagte: »Wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so schickt Boten nach Worms, die meinen Wunsch bestellen.« Etzel sagte: »Wenn Ihr es wünscht, so leitet es in die Wege. Ich sehe Uotes Söhne ebenso gern wie Ihr. Es bekümmert mich, daß sie uns in dieser langen Zeit nicht besucht haben. Wenn es dir recht ist, will ich meine Spielleute nach Burgund schicken.«
Er ließ sie herbeiholen, eilig traten sie vor ihn und die Königin. Er teilte ihnen mit, daß sie als Boten nach Burgund reiten sollten, und ließ kostbare Kleidung anfertigen für vierundzwanzig Ritter. Der König trug ihnen die Einladung an Gunther und seinen Hof auf. Kriemhilt aber sprach mit ihnen noch unter vier Augen. Der König sagte: »Hört zu, wie ihr euch verhalten sollt. Ich lasse meine Freunde herzlich grüßen und bitte sie, zu mir zu reiten. Ich habe selten so liebe Gäste gehabt. Und sagt ihnen, wenn sie meinen Wunsch erfüllen wollen, so sollen sie in diesem Sommer zu einem Fest kommen, denn meine Freude hängt an ihnen.« Der eine Spielmann, der stolze Swämmel, fragte, wann das Fest sein solle. »In den Tagen der nächsten Sonnenwende«, antwortete Etzel. – »Wir tun, was Ihr befehlt«, sagte Wärbel.
Die Königin ließ sie heimlich in ihre Kemenate führen und sprach dort mit ihnen. So fing das Unglück manchen guten Kämpfers an. Sie sagte den Boten: »Verdient Euch hohen Lohn und führt meinen Willen genau aus. Ich will Euch reichlich Geld und kostbare Kleider geben. Sagt keinem meiner Freunde in Worms, daß Ihr mich jemals noch betrübt gesehen habt. Richtet Grüße von mir aus und bittet sie, den Wunsch des Königs zu erfüllen, damit meine unangenehme Lage ein Ende hat. Denn die Hunnen werden meinen, ich hätte keine Verwandten. Wenn ich ein Ritter wäre, würde ich sie gelegentlich besuchen. Und sagt Gêrnôt, daß niemand in der Welt ihm freundlicher gesinnt sein kann. Er soll mir unsere Vertrautesten in dies Land mitbringen, damit wir Ehre einlegen können. Und sagt Gîselher, er solle bedenken, daß ich kein Leid durch seine Schuld erlitten habe, ich würde ihn gern hier sehen um seiner großen Treue willen. Erzählt meiner Mutter von meiner angesehenen Stellung. Und wenn Hagen von Tronege dort bleibenwill, so sprecht, wer sie denn durch die Länder führen solle. Von seiner Kindheit her kennt er den Weg zu den Hunnen. 2
Die Boten wußten nicht, warum sie Hagen nicht am Rhein zurückbleiben lassen sollten. Sie bereuten es später, denn die Feindschaft gegen Hagen zog auch viele andere in den Tod. Ihre schriftlichen und mündlichen Aufträge hatten sie nun erhalten. Sie waren reichlich ausgestattet, so daß sie ein angenehmes Leben führen konnten. Sie verabschiedeten sich von Etzel und seiner schönen Frau.
24 . WIE WÄRBEL UND SWÄMMEL DIE BOTSCHAFT IHRES HERRN AUSRICHTETEN
Als Etzel seine schnellen Boten an den Rhein sandte, flogen die Nachrichten von Land zu Land, er lud ein und bot auf zu seinem Fest, wo manchen der Tod erwartete. Die Boten, die zu den Burgunden ritten, sollten die drei Könige und ihre Männer zu Etzel bitten. Darüber geriet alles in geschäftige Eile.
Sie kamen nach Pöchlarn geritten, dort wurden sie gut bewirtet. Rüedegêr und Gotelint und ihre Tochter gaben ihnen ihre besten Empfehlungen an die am Rhein mit. Es gäbe keinen Markgrafen, der Uote und ihren Söhnen so gewogen wäre, trug Rüedegêr ihnen auf.
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