Das Nilpferd
diesem Unfall kam. Du wirst mit keiner einzigen Silbe von dieser Erklärung abweichen. Hast du verstanden? Wir wollen Clara da nicht reinziehen. Oder deine Eltern, wenn’s sich vermeiden läßt.«
»Was wirst du sagen?«
»Ich hab null Ahnung, Liebling, klar? Was ist denn nun wieder?«
Auf meiner Seite des Wagens wurde von einem Mann in leuchtend gelber Plastikjacke gegen die Scheibe geklopft. Da ich keine Möglichkeit sah, die Fensterscheibe herunterzudrehen, öffnete ich die Tür und schubste ihn, woraufhin er das Gleichgewicht verlor und in eine Pfütze fiel. Ich hievte mich aus dem Wagen und half ihm hoch.
»Es tut mir furchtbar leid … wirklich. Oje, du meine Güte. Sie sind ja klitschnaß.«
»Sie dürfen hier nicht parken«, sagte er und übersah diese Kinkerlitzchen. »Nur für Krankenwagen.«
»Das ist ein Notfall«, sagte ich. »Außerdem kann ich nicht einparken. Wenn ich das Auto hier stehenlasse, wären Sie dann vielleicht so freundlich, es irgendwo für mich abzustellen?«
»Wie bitte?«
Ich ging um die Motorhaube herum und half David aus dem Wagen.
»Hey!« schrie der Kerl. »Ich bin doch nicht Ihr …«Dann sah er das rote Taschentuch, das David sich in den Schritt seiner Jeans drückte, und die vorwurfsvollen Worte erstarben ihm auf den Lippen. »Sie beeilen sich besser«, sagte er. »Das Auto fahr ich nach hinten. Sie können sich den Schlüssel in meinem Kabuff abholen.«
Man hört dauernd so viel liberales Geschwafel über den schauerlichen Zustand des
National Health Service
. Wartelisten, Etatkürzungen, niedrige Arbeitsmoral: Machtlos steht man dem debilen Gekläff gegenüber, das alltäglich von den berufsunzufriedenen, humorlosen und selbstgerechten linken Wichsern über uns hereinbricht. Derlei Gerede verleitet selbst einen skeptischen alten Reaktionär wie mich nolens volens zu dem Glauben, alle NHS-Einrichtungen seien von verzweifelten, kranken Patienten überlaufen, die auf Strohmatten in den Korridoren herumliegen und darauf warten, daß der einzige, gestreßte, übermüdete, minderjährige Arzt dieser Behörde vorbeischaut und sie anschnauzt, sich gefälligst zusammenzureißen.
Nicht die Bohne. Nicht die beschissenste Bohne. Vielleicht ist das Norfolk and Norwich Hospital ja eine Ausnahme – East Anglia, muß man zugeben, kann nicht gerade als innerstädtische Problemzone beschrieben werden; man kann sich denken, daß der durchschnittliche medizinische Notfall sich hier um von Sumpfbibern angenagte Kürbisse dreht oder um Touristen mit einer Überdosis Pfannkuchen oder Kirchen. Nichtsdestoweniger erwartete ich wenigstens ein gewisses Maß an Schmutz und überarbeiteter Gereiztheit. Aber als Davey und ich durch die sich automatisch öffnenden Türen schritten und bei der Anmeldung vorsprachen, fühlte ich mich weniger als Soldat, der seinen verwundeten Kameraden auf der Krim in das verdreckte Feldlazarett schleppt – die linke Lieblingsvorstellung –, sondern eher als Richard Burton an der Rezeptioneines Fünfsternehotels in Gstaad, mit einer beschwipsten Elizabeth Taylor am Arm.
»Ojemine«, gluckte die Omi hinter dem Tisch. »Da ist aber jemand auf dem Kriegspfad gewesen, was?«
»Der junge Bursche hier hat ’n Unfall gehabt«, sagte ich mit kernigem Zwinkern. »Das Übliche, Sie wissen schon. Hat sich sein bestes Stück im Reißverschluß eingeklemmt.«
»Hoppla!« sagte sie. »Dann nehme ich besser Ihre Personalien auf.«
»Äh, Edward Lennox.«
Davey zog die Augenbrauen hoch.
»Und der Name Ihres Sohnes?«
»David«, sagte ich. »Er heißt David.«
»Und haben Sie zufällig Davids Sozialversicherungskarte dabei?«
»Oje, wir sind gleich los, ohne daran zu denken, fürchte ich.«
»Das macht nichts, mein Guter. Das Formular können Sie später ausfüllen. Wenn Sie sich dann setzen möchten, ein Arzt kommt sofort, um Sie sich anzusehen.«
»Kapiert?« zischte ich David zu, als wir uns setzten. »David Lennox. Unfall beim Pinkeln.«
Er nickte. Er war sehr blaß, sein Haar war noch feucht, und seine Unterlippe blutete, weil er vor Schmerz draufgebissen hatte.
Er saß da, ohne ein Wort zu sagen, starrte bloß ausdruckslos die Uhr an der Wand an.
»Wird schon wieder«, sagte ich, sein Schweigen als Furcht deutend. »Die wissen schon, was sie tun. Passiert wahrscheinlich jeden Tag.«
»Die Sache ist bloß …«, sagte David.
»Ja?«
»Diese Jeans. Das ist ’ne 501.«
»501? Versteh ich nicht.«
Eine Krankenschwester kam auf uns zu und strahlte
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