Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
Zungenspitze wurde vom Fahrtwind zurückgepeitscht, bis sie die Ohren berührte.
    Ein silbernes Funkeln am Horizont zog meine Aufmerksamkeit an, auf der anderen Seite eines flimmernden Getreidefeldes, dessen Ähren sich gerade von Grün zu Gold verfärbten.
    »Was ist das?« brüllte ich.
    Simon drehte den Kopf.
    Ich zeigte mit dem Finger und gellte: »Da drüben! Das glänzende Ding da, wie ’ne Kirche.«
    »Ach das. ’n Silo.«
    »Was?«
    »Für Getreide. Billiger zu bauen, als ’ne alte Scheune neu zu überdachen. Mehr Lagerkapazität.«
    »Häßliches Scheißding.«
    Außerdem fiel mir auf, daß das Land, mal abgesehen von Noel Cowards Scherzen über Norfolk, mir
flacher
vorkam, als ich es in Erinnerung hatte. Das war nicht möglich, aber Weite und Tiefe des Blickfelds waren ohne Zweifel gewachsen. Das lag natürlich an den Hecken, oder besser, an ihrem Fehlen. Es muß zwanzig Jahre her sein, daß man angefangen hat, sie niederzureißen, aber mein Greisengedächtnis rechnet immer noch mit ihnen. Genausowenig würde es mir wahrscheinlich auffallen, wenn der Stadtrat von Westminster über Nacht entschiede, den Verkehr am Piccadilly in beide Richtungen fahren zu lassen, weil Piccadilly für mich sowieso immer eine Straße mit Gegenverkehr war, auch wenn es Jahrzehnte her sein muß, daß sie das versaut haben. Und jetzt hier in East Anglia, mit den entblößten Feldern und diesen riesigen, in Plastikplanen eingehüllten Rollen, dem Amt für Strohballen unterstellt, und diesen großen, häßlichen Silos, sieht die Landschaft Amerika immer ähnlicher – du weißt schon, die großen Weizenfelder in Iowa, wo massenhaft Mähdrescher Seite an Seite wie Panzerdivisionen über den Horizont rollen.Ich bin bekanntlich eine Stadtratte, brauche harten Asphalt unter den Füßen und Luft, an der ich was zu beißen habe, aber das ländliche England hat trotz allem seinen Platz in meinem Herzen, und die Vorstellung gefällt mir nicht, daß Hooligans sie kaputtmachen.
    Simon lachte.
    »Du mußt an die Ernte denken«, schrie er, und dann – der Schlachtruf aller räuberischen Landbesitzer –, »du willst doch schließlich was im Magen haben, oder?«
    Aber rund um Swafford Hall, fiel mir beim Näherkommen auf, sind die Hecken noch dicht an dicht gepflanzt. Für einen unverbesserlichen Snob wie mich gibt es nichts Belebenderes als den Blick aus einem Auto auf vorbeihuschende Parkbäume, welche die Kamine, Fenster und Säulen eines Landhauses halb verdecken und halb offenbaren, wie eine Striptease-Tänzerin mit ihrem Schleier. Wir fraßen uns durch die Lindenallee, der ganze vulgäre Glanz des Anwesens glitt, wie es bei L. P. Hartley heißen würde, in Sicht, und ich sah mit einem Stich des Bedauerns und der Selbstvorwürfe, daß ein Junge auf halber Höhe der Barockstufen saß, die vom vorderen Säulengang herabflossen wie geschmolzene Lava. Er stand auf, schirmte das Sonnenlicht mit der Hand ab und sah in unsere Richtung.
    Ich hatte jeden Gedanken daran verdrängt, wie ich dieses unsägliche Kind loswerden sollte. Er hatte seinen Zweck erfüllt, indem er mir die Einladung verschafft hatte; es hatte mir wirklich gerade noch gefehlt, mich durch die Gegend schleppen und das großspurige Geseire eines pubertierenden Burschen über mich ergehen lassen zu müssen oder, schlimmer noch, gezwungen zu sein, mir selbst zuzuhören, wie ich meine eigenen Pfennigweisheiten unters Volk brachte. Die Lösung war vielleicht, ihm irgendeine Aufgabe zu stellen, ihn mit einer teuflischen Arbeit zubetrauen, die ihn mir vom Leib hielt. »Schreib mir ein Langgedicht in
terza rima
«, sah ich mich sagen, »wenn du Lyriker werden möchtest, mußt zu zunächst lernen, die Formen zu meistern.«
    Simon wirbelte eine Wolke Staub und Schotter auf, als er mit einer scharfen und unsinnig schlitternden Wendung unter Einsatz der Handbremse vor dem Haus zum Stehen kam. David schritt die Stufen herab und rieb sich den Staub aus den Augen.
    »Tag, Onkel Edward«, sagte er, lächelte und errötete.
    Er ist wahrlich ein anmutiger Knabe. Hab ja nie besonders viel Geschmack an meinem eigenen Geschlecht gefunden, der füllenhafte Charme erhöhte meinen Blutdruck nicht um ein Millibar – eigentlich finde ich seinen Anblick für einen Mann etwas lächerlich –, aber mir fällt auf Anhieb eine ganze Reihe Schriftsteller und Künstler meiner Bekanntschaft ein, die bei seinem bloßen Anblick die Besinnung verlieren, stöhnen und beim nächsten erreichbaren Wodka Halt suchen

Weitere Kostenlose Bücher