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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Tradition zufolge war es ein böses Omen, wenn Mitglieder derselben Familie sich einen Namen teilten. Albert war kein Traditionalist. Er hatte keine Religion und keinen echten Sinn für das Judentum. Er war Landwirt und Kavallerist, der den antisemitischen Magyaren des alten Habsburgerreiches näherstand als den gelehrt auftretenden Kaftankäfern aus Schtetl und Stadt, die mit gesenkten Köpfen durch die Straßen trippelten und sich ängstlich an die Mauern drückten, wenn die Gojim vorbeischritten, als hätten sie Angst,sich oder vielleicht die anderen mit einer schrecklichen Krankheit anzustecken.
    Als junger Mann hatte Albert 1914 für seinen Kaiser gefochten. Aufgeputzt wie ein Zinnsoldat in glänzendem Kürass und mit wippendem Helmbusch, gehörte Albert, der blaue Husar, zu den ersten, die in den Anfangswochen die serbischen Waffen attackierten, als der Weltkrieg noch eine kleine Affäre auf dem Balkan war, der niemand Bedeutung beimaß. Später, als die stolzen Kavallerietruppen von der titanischen Artillerie des zwanzigsten Jahrhunderts gedemütigt worden waren, wurde Albert mit ihrer Neugestaltung beauftragt, die sie zu bloßen Karrengäulen und Depeschenkurieren erniedrigte, die hinter den Frontlinien mit hängenden Köpfen die Kutschen und Ambulanzen durch die gefrorenen Berge der Karpaten zogen oder törichte Nachrichten zwischen Stab und Feld übermittelten. Mit ironischer Resignation sagte er sich, daß Loyalität gegenüber einem großen Schnurrbart in Wien auch nicht dümmer war als Loyalität gegenüber einem großen Vollbart in Jerusalem. Als es jedoch aufs Ende zuging, hatte er zu viele weiße Würmer gesehen, die sich durch die Augenhöhlen zu vieler toter Kameraden schlängelten, und zu viele lebende Kameraden, die die Lebern und Lungen zu vieler gefallener kindergesichtiger Kosaken gebraten hatten. Er übertrieb die Symptome einer leichten Schützengrabenneurose, die er während eines Bombardements erlitten hatte, und wurde glücklich zu einer Remontendivision in jenem Teil Rumäniens versetzt, der als Transsylvanien bekannt ist, wo er den Rest des Krieges aussaß und die Überbleibsel der Kavallerie abfertigte.
    Albert besaß eine besondere Gabe, die Pferde betraf. Er verstand sie weit besser als die Pferdeausbilder und Veterinäre der kaiserlichen Armee, was bei einigen seiner Offizierskollegenzu Verstimmungen führte. Andere trompeteten lieber Alberts Fähigkeiten als Heiler heraus und stellten außergewöhnliche Behauptungen auf, die er stets schnell von sich wies.
    »Es gibt nicht das geringste Geheimnis in dem, was ich tue«, sagte er. »Ich habe Geduld mit den Tieren. Ich zeige ihnen, daß sie geliebt werden. Ich lasse ihnen ihre Ruhe. Den Rest erledigt die Natur.«
    Solche Proteste waren in den Wind gesprochen. Alberts Ruf wuchs und wurde nach einem dummen Zwischenfall mit seinem Burschen Benko sogar auf Menschen ausgedehnt. Dieser blöde Soldat hatte sich eines Nachmittags von einem verängstigten Hengst auf den Fuß stampfen lassen. Statt diese Verletzung unverzüglich einem Sanitäter zu melden, hatte Benko sie für sich behalten, und die Wunde hatte sich über Nacht entzündet. Als er am nächsten Morgen mit dem Kaffee hereinhumpelte, hatte Albert ihn gefragt:
    »Warum hinkst du denn so stark, Benko?«
    Benko war in Tränen ausgebrochen.
    »Oh, Herr!« rief er. »Würden Sie es sich wohl einmal ansehen? Ich traue mich nicht zum Arzt, weil ich weiß, daß er es vom Knie amputieren wird. Das macht er immer so.«
    Es war allerdings richtig, daß unzählige Witze über Soldaten kursierten, die den Fehler gemacht hatten, die Knochenbrecher des Regiments aufzusuchen. So erzählte man sich von jenem Gefreiten, der wegen einer bloßen Migräne fast den Kopf verlor und zu diesem Arzt ging – woraufhin er den Kopf ganz verlor. Auf rumänisch klappte dieser Witz besser als auf ungarisch. Eine andere Anekdote betraf Jana, die ortsansässige Hure. Eines Tages suchte ein Soldat namens Janos den Arzt wegen einer Warze im Genitalbereich auf. Man sah ihn nie wieder, aber eine Woche später machte Jana ihre Bude auf.
    Da er für Benkos Zögern, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, Verständnis hatte, erklärte sich Albert einverstanden, den Fuß zu untersuchen, erschauerte aber doch vor Ekel, als Benko behutsam Stiefel und Strumpf auszog. Er war kein reinlicher Soldat, ja hatte dem Augenschein nach den Stiefel seit Wochen nicht mehr vom Fuß getrennt. Benko sah Alberts Würgen und begann sofort

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