Das Nilpferd
mußte er sich doch nüchtern sagen, daß es vielleicht besser war, daß er sie nicht hatte gesundpflegen können, nachdem die Ärzte sie für tot erklärt hatten. Sein Ruf als schwarzer Magier hatte ihn nach Hause verfolgt, und selbst Rabbiner, die doch über die leichtgläubige Herde erhaben sein sollten, mieden seine Gesellschaft.
Albert brauchte niemanden. Er hatte es allen gezeigt. Er war ein überragender Landwirt. Jetzt, wo er mit seinen beiden kleinen Kindern alleine dastand, mit seinen weiten Rübenfeldern und seiner Zuckerraffinerie, sehnte er sich danach, das Land zu verlassen, das nicht mehr sein Land war. Außer Jiddisch und Ungarisch, seinen Muttersprachen, hatte er für den Dienst bei den Husaren Deutsch und Rumänisch lernen müssen und seither die neuen Amtssprachen Tschechisch und Slowakisch.
»Ich gehe fort, bevor die Franzosen Prag besetzen«, erklärte er seinem Faktotum Tomasz. Sein ganzes Leben lang hatte Albert eine eigentümliche Abneigung gegen die französische Sprache, da er unerklärlicherweise glaubte, sie sei weit schwieriger zu erlernen als irgendeine andere in Europa.
Aber wie konnte Albert fortgehen? Wer würde seine Rübenäcker kaufen? Wer würde ihm eine anständige Summe für seine Privatraffinerie zahlen? Wohin sollte er gehen? Oft sprach man in seinem Dorf von Amerika, aber Amerika hieß bloß New York; in den Getreidestaaten waren Juden nicht gern gesehen. Alberts Bruder Michael, oder besser Amos, bestürmte ihn brieflich, zu ihm nach Palästina zu kommen, wo er und seine junge Frau Nora der Welt ein Paar brandneuer Sabrakinder geschenkt hätten, Aron und Ephraim, die zu den neuen Juden des neuen Jerusalem heranwüchsen.
»Schließlich bist du selber eine Art Sabra, Albert«, schrieb er.
Albert verwirrte diese Bemerkung. Bislang hatte er gedacht, ein Jude dürfe sich nur dann einen Sabra nennen, wenn er auch im Lande Israel geboren war. Ein gebildeter Freund erklärte ihm, was Amos meinte.
»Ihr Bruder erlaubt sich einen liebenswerten Scherz, Albert. ›Sabra‹ ist auch das Wort für eine Obstsorte. Eine stachlige Birne, die außen Dornen hat, aber einen süßen, weichen Kern.« Was das Passendste war, was je einer über Albert gesagt hatte. Allerdings war er gezwungen gewesen, stachlig zu werden, denn seine Güter waren groß und erforderten sehr viel Kraft und Geschick zu ihrer Leitung, wo der Markt so völlig korrupt, die Inflation so wahnsinnig hoch und die Menschen so drückend arm waren. Er war gezwungen gewesen, stachlig zu werden, weil sein eigentliches, ruhiges, liebevolles und vernünftiges Selbst für die schwarze Seele eines hypnotisierenden Hexers gehalten worden war.
Eine Woche nachdem dieser Brief von Amos eingetroffen war, hatte das deutsche Volk Adolf Hitler zu seinem neuen Kanzler gewählt. Albert war enttäuscht. Hitler schien ihm kein geeigneter Führer für die Deutschen zu sein; sein Antisemitismus, nahm er an, war wie der alltägliche Antisemitismus ein unangenehmes Nebengeräusch, das wenig zu bedeuten hatte. Albert machte Antisemitismus selten etwas aus. Manchmal fühlte er ihn ein wenig in sich selbst, wenn er hörte, wie Chassidim sich über das Gesetz ausließen oder wie Amos und seine Freunde sich über das Thema Zion ausließen. Albert schämte sich ganz und gar nicht, Jude zu sein, bloß war es für ihn das letzte, ein großes Trara darum zu machen. Er war Vater und Landwirt, das reichte.
Noch eine Woche später geschah etwas völlig Überraschendes. Ein englischer Gentleman erreichte AlbertsHaus in Begleitung eines Übersetzers aus Prag. Albert war ganz außer sich vor Aufregung, daß er einen echten Engländer in seinen vier Wänden beherbergen durfte. Von allen Völkern der Welt waren ihm die Engländer am liebsten. Es war für ihn eine große Erleichterung gewesen, daß er im Laufe des Krieges in keinerlei Feindseligkeiten mit ihnen verwickelt worden war, denn er war sicher, daß er dann in Versuchung geraten wäre, die Seiten zu wechseln und sich ihnen anzuschließen. Er mochte ihre Förmlichkeit, ihre Tweedanzüge, ihren Respekt für die Reitkunst, ihren ironischen Humor und ihre Zurückhaltung.
Albert bot dem Engländer und dem Übersetzer an, sich in den Ledersesseln seines Arbeitszimmers niederzulassen. Er klingelte nach Tomasz, seinem Diener.
»Wünscht der Herr Tee?« erkundigte er sich bei dem Übersetzer. Er hoffte, daß der Engländer nicht glauben würde, sein Klingeln nach dem Diener bedeute etwa Protzigkeit. Es war
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