Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
hätten sie mich bestimmt für verrückt erklärt. Heute kaschieren sie das mit anderen Worten. Man wird eingewiesen … Ich rede nicht oft darüber. Nicht, weil ich mich schäme. Aber die Leute gucken dann so komisch. In einer Irrenanstalt? Ich habe keine Lust, immer alles zu erklären, schlucke schweigend meine Pillen. Ich habe keine Ahnung, wie sie wirken, weiß aber, dass sie mein Hirn betäuben. Wie eine nasse Decke auf Glut. Psychopharmaka. Nervenmedizin. Wenn das Herz nicht so schlägt, wie es soll, nimmt man Betablocker. Beta-Adrenozeptor-Antagonisten. Wenn das Hirn streikt, greift man zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Lange Worte. Magische Wirkstoffe. Und davon wird man dann wieder gesund? Krankheiten sind mit Scham verbunden. Etwas, worüber man besser schweigt, wonach man nicht weiter fragt. Krebs … Herzprobleme … Nerven. Vor allem die Nerven. Ach? Sie haben Nervenprobleme? Mitgefühl. Und schon sagen wir nichts mehr. Als würden wir empfänglicher für Krankheiten, wenn wir darüber reden. Als würden Neurosen und Leukämie mit galoppierendem Verlauf in höchstem Maße anstecken, sobald wir die Worte nicht mehr in einen Kokon aus Schweigen hüllen.
IV
Das Krankenhaus behielt uns noch ein paar Stunden da. Zur Sicherheit.
Wir waren unseren Verfolgern entkommen. Aber jetzt glaubten sie, dass wir den Originalbrief aus Regina Ferraris Büro gestohlen hatten.
Zur Sicherheit zogen Angelica und ich aus unseren Zimmern aus. Der Geschäftsführer des Castello Catullus, Fabiano Silor, gab uns die Möglichkeit, unsere Zimmer mit zwei anderen Konferenzteilnehmern zu tauschen. Das Kulturzentrum hatte zahlreiche Anrufe bekommen. Von Journalisten. Aber auch von Forschern und anderen Akademikern. Ein Professor der Gregoriana-Universität, die Chefbibliothekare der Biblioteca Medicea Laurenziana und der Biblioteca Apostolica Vaticana. Ein Konservator des Archivum Secretum Vaticanum. Ich fragte Silor, ob er den alten Dorfpfarrer zu mir schicken könnte, doch der hatte es wegen der Dramatik vorgezogen, bereits die Heimreise anzutreten. Silor schrieb mir seine Nummer auf einen gelben Haftnotiz-Zettel. Dann bat ich ihn herumzufragen, ob sich jemand die verschlüsselten Passagen notiert hatte, die Professor Moretti in seinem Vortrag vorgestellt hatte, oder ob jemand ein Video von dem Vortrag gemacht hatte.
Angelica hatte geduscht und sich umgezogen. Auf die Idee war ich gar nicht gekommen. Als sie mich hereinließ, telefonierte sie gerade. Polizia , sagte sie mit lautlosen Lippenbewegungen. Ich entnahm ihrem Gesichtsausdruck, dass es nichts Neues gab. Sie legte auf und warf das Handy aufs Bett.
»Oh, Bjørn …«, seufzte sie und setzte sich. »Was geht hier nur vor? Jetzt glauben die, wir hätten das Original des Briefes. Aber wenn die es nicht haben – wo ist es dann?«
»Das ist eine gute Frage. Die beiden waren offensichtlich da, um das Original zu stehlen. Aber da das Original bereits weg war, muss es sich jemand anderes geholt haben. Die Frage ist nur, wer?«
Nach den dramatischen Widrigkeiten des Tages machte sich Angelica, was durchaus zu verstehen war, vor allem Sorgen um ihren Sohn und ihren Ehemann und war nicht wie ich von der Frage besessen, wie die Geschehnisse zusammenhingen.
»Soll ich gehen?«, fragte ich. »Wollen Sie alleine sein?«
»Nein, nein.« Für einen Moment kam wieder Leben in sie. »Es ist gut, dass Sie hier sind.«
Ihre Verwundbarkeit erweckte in mir das Bedürfnis, meine Arme um sie zu legen, sie zu trösten und zu wiegen und ihren Rücken zu streicheln.
Ihr Handy klingelte. Sie nahm es vom Bett.
»Unbekannte Nummer«, sagte sie. »Pronto!« Ihr Gesicht erstarrte. Sie sagte kaum etwas, bevor sie wieder auflegte.
»Wer war das?«, fragte ich.
»Das wollte er nicht sagen, nur, dass er mit mir sprechen muss.«
»Wer kann das gewesen sein? Einer der Kidnapper?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Kann schon sein.«
»Und was hat er gesagt?«
»Dass wir gemeinsame Interessen haben.«
»Gemeinsame Interessen? Und welche sollen das sein?«
»Ich weiß es nicht! Ich konnte jetzt nicht mit ihm reden.«
»Aber wenn die Entführer anrufen, müssen Sie sich doch anhören, was sie zu sagen haben, Angelica.«
Sie krümmte sich zusammen und brach in Tränen aus. Ich setzte mich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. Sie drückte sich an mich. Mit leichten, vorsichtigen Bewegungen streichelte ich ihr über Arm und Rücken. Viel zu sagen gab es nicht. Ihr Weinen
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