Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
Stärke der Chiffre. Das Schlüsselwort gibt einem die Chance, Ordnung in das Chaos der scheinbar willkürlichen Zeichen zu bringen.
Mit Hilfe von Mathematik, Deduktion und unzähligen Versuchen analysierte Babbage die Länge des Schlüsselwortes aus der Häufigkeit bestimmter Buchstaben. Zeichen für Zeichen arbeitete er sich zum Schlüsselwort vor. Aber Babbage hatte keine Eile. Er war nicht mit seinem Sohn in Gefangenschaft.
Lorenzo hat eine Liste mit möglichen Schlüsselwörtern erstellt. Wörter, die Nostradamus theoretisch benutzt haben könnte. Die Liste wirkt endlos. Er fügt Wort an Wort und probiert sie aus, ehe er eines nach dem anderen wieder durchstreicht.
*
Vater Nicola ist das genaue Gegenteil von Francesco. Er ist klein, hat eine gedrungene Statur und stechende Augen. Ihm die Hand zu geben fühlt sich an, als drücke man aufgegangenen Hefeteig.
Ich hoffe, Sie haben alles, was Sie brauchen?
Francesco hat mir einen Spiegel versprochen.
Einen Spiegel? Wirklich?
Ja, um nach spiegelverkehrten Zeichen zu suchen.
Ich werde sehen, was ich machen kann.
Er spürt es sofort. Er mag Nicola nicht. Vertraut ihm nicht. Er hat etwas Hinterlistiges, Berechnendes. Seine Stimme, seine Ausstrahlung, sein Blick. Sie wecken Lorenzos Misstrauen.
*
Er denkt an Angelica. Er liebt die Widersprüche in ihr. Die Zerbrechlichkeit und ihre Kraft. Die Schwäche und ihren Mut. Die Angst und die Unternehmungslust. Den Schwermut und ihren Humor. All diese sich widersprechenden Eigenschaften. Der langweiligste Mensch, denkt er, muss jemand sein, dessen Seele nicht eine Kerbe hat. Angelica ist anders … Vor vier Jahren hat er das Rezept gefunden, als er auf der Suche nach den Autoschlüsseln war. Versteckt im Seitenfach ihrer Handtasche. Fluoxetin . Später hatte er dann im Arzneimittelhandbuch nachgeschlagen. Ein Antidepressivum. Er hatte sie noch am gleichen Abend damit konfrontiert. Sie war vollständig zusammengebrochen. Niemand sollte das wissen. Nicht einmal er, ihr Ehemann. Er war so wütend gewesen, so verletzt. Etwas vor Arbeitskollegen und Freunden zurückzuhalten war eine Sache. Aber vor ihrem Ehemann! Ich … Die Scham, schluchzte sie. Welche Scham?, hatte er gefragt. Er hatte Depressionen nie mit Scham verbunden. Aber die Konfrontation hatte etwas bewirkt. Sie begann, sich ein bisschen zu öffnen. Stück für Stück. Auch wenn er nie ganz genau wusste, welche innerlichen Kämpfe sie ausfocht.
Silvio hat die gleichen Züge wie Angelica, wenn sie lächelt. Die Augen und der Blick. Er mag gar nicht daran denken, wie viel Sorgen Angelica sich jetzt machen muss. Vor allem um Silvio. Er weiß, wie unruhig er selbst sein würde. Schon die kleinste Kleinigkeit – wenn er mal zu spät von der Schule kam oder die Sirene eines Krankenwagens zu hören war – konnte eine Unruhe auslösen, die sich erst legte, wenn Silvios Schritte draußen im Treppenhaus zu hören waren. Er rannte immer, wenn er auf der Treppe war. Egal, ob rauf oder runter. Als hätte der kleine Körper einen Konstruktionsfehler, sodass Gehen unmöglich war. Er musste rennen. Immer.
Lorenzo blickt zu seinem Sohn. Lächelt. Ihre Blicke begegnen sich.
Was machst du?, fragt Silvio.
Denken, rechnen.
An was denn?
Eigentlich an nichts.
Nichts.
Nur ein Spiel.
Ein Spiel?
Mit Buchstaben und Zahlen. Codes.
Silvio hat sich schon immer für Codes begeistert, für die Geheimnisse versteckter Muster. Das hat er sicher von mir. Natürlich hat er das von mir.
Was rechnest du denn aus, Papa?
Er zuckt die Schultern.
Du kannst doch nicht mit Buchstaben rechnen.
Natürlich kann man das.
Wie das denn?
Buchstaben können Zahlen repräsentieren.
Repräsentieren?
Ein Buchstabe kann den Platz einer Zahl einnehmen.
Warum?
Er lächelt seinen Sohn an. Silvio sieht auf den Zettel.
Warum hast du Vicarius Filii Dei geschrieben?
Nur so zum Spaß.
Was bedeuten die Zahlen?
Die haben nichts zu bedeuten. Wie gesagt, bloß ein Spiel. Erinnerst du dich daran, dass ich dir von der Zahl des Tieres erzählt habe?
Ja! Die steht in der Bibel. In der Offenbarung von Johannes!
Weißt du noch, was das für eine Zahl ist?
666!
Genau. Aber was bedeutet 666?
Weiß ich nicht.
Dafür gibt es viele Theorien. Viele glauben, das Tier ist der Teufel. Andere glauben, dass die 666 eine falsche Übersetzung ist, die entstand, als man den Namen des babylonischen Gottes Marduk aus der Keilschrift übersetzte. Für wieder andere repräsentiert die Zahl 666 den verhassten römischen
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