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Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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möchte Ihnen die notwendigen Erklärungen geben.«
      Und hier nun fehlt mir mein Watson. Durch schlaue Fragen und bewundernde Ausrufe könnte er meine einfältige Kunst, die nichts ist als ein in ein System gebrachter gesunder Menschenverstand, ins Wunderbare erheben. Indem ich meine eigene Geschichte erzähle, muß ich solcher Unterstützung entbehren. Und doch will ich meine Gedankenkette hier genauso wiedergeben, wie ich sie vor dem kleinen Zuhörerkreis, zu dem auch Godfreys Mutter gehörte, in Colonel Emsworths Arbeitszimmer ausbreitete.
      »Dieser Prozeß«, sagte ich, »basiert auf der Voraussetzung, daß, was übrigbleibt, wenn man alles Unmögliche abgezogen hat, die Wahrheit sein muß, wie unmöglich sie auch erscheinen mag. Es kann vorkommen, daß verschiedene Erklärungsmöglichkeiten übrigbleiben, und in einem solchen Fall muß man sie eine nach der anderen prüfen, bis die eine oder die andere genügend überzeugende Stützung erhält. Wenden wir nun dieses Prinzip auf unseren Fall an. Als er mir zum ersten Mal dargelegt wurde, sah ich drei mögliche Erklärungen für das Absondern des Gentleman, oder seiner Gefangenschaft, in einem Nebenge bäude des Hauses seines Vaters. Entweder versteckte er sich wegen eines begangenen Verbrechens, oder er war geisteskrank, und man wollte nicht, daß er in eine Anstalt eingewiesen wurde, oder der Grund seiner Isolierung war eine anstekkende Krankheit. Andere hinreichende Lösungen konnte ich mir nicht vorstellen. Diese drei also mußten geprüft und gegeneinander abgewogen werden.
      Die Möglichkeit, daß er ein Verbrechen begangen haben sollte, hielt der Prüfung nicht stand. Kein unaufgeklärtes Verbrechen war aus diesem Bezirk gemeldet worden. Dessen habe ich mich versichert. Hätte es sich um ein noch nicht entdecktes Verbrechen gehandelt, dann wäre die Familie daran interessiert gewesen, sich des Täters zu entledigen, und sie hätte ihn eher ins Ausland geschickt, als auf dem eigenen Anwesen versteckt. Ich fand also keine schlüssige Erklärung für den ersteren Grund.
      Geisteskrankheit war da schon plausibler. Die Anwesenheit einer zweiten Person in dem Nebengebäude ließ an einen Wärter denken. Die Tatsache, daß der Mann hinter sich absperrte, als er das Haus verließ, unterstützte die Annahme und legte den Gedanken an zwangsweise Einschränkung nahe. Andererseits aber konnte die Einschränkung nicht streng gehandhabt worden sein, denn wie sonst hätte sich der junge Mann befreien können, um einen Blick auf seinen Freund zu werfen. Sie werden sich erinnern, Mr. Dodd, daß ich nach Anhaltspunkten suchte und Sie zum Beispiel fragte, welche Zeitung Mr. Kent gelesen habe. Wäre es ›Lancet‹ oder das ›British Medical Journal‹ gewesen, so hätte das für mich eine Hilfe bedeutet. Es ist nicht gesetzwidrig, einen Geisteskranken auf privatem Grund und Boden leben zu lassen, solange sich qualifizierte Leute um ihn kümmern und die Behörden verständigt worden sind. Aber warum all dieses verzweifelte Bemühen um Geheimhaltung? Wieder gelang es mir nicht, die Theorie mit den Tatsachen in Übereinstimmung zu bringen.
      So blieb nur die dritte Möglichkeit, auf die, so selten und unwahrscheinlich sie sein mochte, – alles zu passen schien. Lepra ist in Südafrika nicht ungewöhnlich. Durch irgendeinen außergewöhnlichen Zufall hätte der junge Mann sich angesteckt haben können. So wäre seine Familie in eine schreckliche Lage geraten, wenn sie den Wunsch hegte, ihn vor einer Aussonderung zu bewahren. Um Gerüchte und nachfolgendes Eingreifen der Behörden zu vermeiden, mußte strikte Geheimhaltung gewahrt werden. Ein ergebener Mediziner, der sich des Leidenden annahm, konnte leicht gefunden werden, wenn man gut bezahlte. Und es hätte auch kein Grund bestanden, den Kranken nach Einbruch der Dunkelheit an freier Bewegung zu hindern. Bleichen der Haut ist eine verbreitete Folge dieser Seuche. Die Wahrscheinlichkeit war also groß, so groß, daß ich mich entschloß, zu handeln, als wäre ein Beweis schon gefunden. Als ich dann bei meiner Ankunft bemerkte, daß Ralph, der dem Kranken das Essen brachte, Handschuhe trug, die mit Desinfektionsmittel getränkt waren, schwanden meine letzten Zweifel. Ein einziges Wort bewies Ihnen, Sir, daß Ihr Geheimnis entdeckt war, und es sollte Sie auch davon überzeugen, daß Sie meiner Verschwiegenheit vertrauen können.«
      Ich war gerade dabei, meine kleine Analyse des Falles zu beenden, als sich

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