Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
und als mein Klient ihn erblickte, sprang er ihm mit ausgestreckten Armen entgegen.
»Godfrey, Alter, das ist schön!«
Aber der andere machte ihm Zeichen, zurückzubleiben.
»Rühr mich nicht an, Jimmie. Bleib auf Distanz. Ja, betrachte mich nur richtig! Ich sehe wohl nicht mehr aus wie der smarte Gefreite Emsworth von der Schwadron B, wie?«
Sein Aussehen war denn auch außergewöhnlich. Man konnte noch erkennen, daß er einmal ein hübscher Mann mit klargeschnittenen, von der Sonne Afrikas gebräunten Zügen gewesen war. Aber der dunklere Untergrund war mit seltsamen weißlichen Flecken gesprenkelt, die den Eindruck hervorriefen, als wäre seine Haut gebleicht.
»Deshalb empfange ich keine Besucher«, sagte er. »Daß du mich siehst, macht mir nichts aus, aber auf deinen Freund da hätte ich verzichten können. Ich nehme an, du hast ihn aus gutem Grund mitgebracht, aber mich hast du damit in eine ungünstige Lage versetzt.«
»Ich wollte sichergehen, daß alles mit dir in Ordnung ist, Godfrey. Ich hatte dich in der Nacht gesehen, als du durch mein Fenster gucktest, und ich konnte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen, mußte sie aufklären.«
»Der alte Ralph hatte mir gesagt, daß du da bist, und ich konnte es mir nicht verkneifen, einen Blick auf dich zu werfen. Ich hoffte, du würdest mich nicht sehen, und ich mußte in meinen Bau zurückrennen, als ich hörte, wie das Fenster aufging.«
»Aber was ist denn um Gottes willen geschehen?«
»Das ist schnell erzählt«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. »Erinnerst du dich an das Gefecht am Morgen bei Buffelsspruit in der Nähe von Pretoria, an der östlichen Eisenbahnlinie? Weißt du, daß ich verwundet wurde?«
»Ja, ich hörte davon, habe aber nie die Einzelheiten erfahren.«
»Vielleicht erinnerst du dich, es war ein sehr verwüsteter Landstrich. Wir wurden zu dritt von den anderen abgeschnitten: Simpson – der Bursche, den wir immer Kahlkopf-Simpson genannt haben –, Anderson und ich. Wir wollten die Buren vertreiben, aber sie krallten sich fest, und sie kriegten uns drei zu packen. Die beiden anderen wurden getötet. Ich bekam einen Schuß aus einer Elefantenbüchse durch die Schulter. Ich klammerte mich an meinem Pferd fest, und das galoppierte ein paar Kilometer; da verlor ich das Bewußtsein und fiel aus dem Sattel.
Als ich zu mir kam, war die Abenddämmerung hereingebrochen. Ich rappelte mich hoch und fühlte mich sehr schwach und krank. Zu meiner Überraschung stand in der Nähe ein Haus, ein ziemlich großes Haus mit vielen Fenstern und einer breiten Freitreppe. Es war schrecklich kalt. Du erinnerst dich an die betäubende Kälte, die abends aufkam, die entsetzliche, krank machende Kälte, die so ganz anders ist als ein frischer, ge sunder Frost. Nun, die Kälte war mir bis ins Mark gedrungen, und meine ganze Hoffnung schien nur noch darin zu liegen, das Haus zu erreichen. Ich raffte mich auf und schleppte mich weiter. Ich wußte kaum, was ich tat. Ich habe eine dunkle Erinnerung daran, wie ich langsam die Stufen hinaufstieg, durch eine weitgeöffnete Tür ging, einen großen Raum betrat, in dem verschiedene Betten standen, und wie ich mich mit einem Seufzer der Erleichterung in eines der Betten warf. Es war nicht gemacht, aber das kümmerte mich nicht im geringsten. Ich zog die Decken über meinen zitternden Körper, und eine Sekunde später war ich eingeschlafen.
Es war Morgen, als ich erwachte, und da schien es mir, als sei ich statt in eine Welt voll Gesundheit in einen ganz ungewöhnlichen Alptraum hineingeraten. Die afrikanische Sonne durchflutete die großen, gardinenlosen Fenster, und jede Einzelheit des weiten, nackten, weißgestrichenen Schlafsaals war hart und klar abgezeichnet. Vor mir stand ein zwergenhafter Mann mit einem riesigen, aufgeblähten Kopf, der aufgeregt holländisch plapperte und dabei mit zwei schrecklich aussehenden Händen fuchtelte, die mir wie braune Schwämme vorkamen. Hinter ihm stand eine Gruppe von Leuten, die sich anscheinend über die Situation höchlich amüsierte, und als ich sie näher betrachtete, überlief mich ein Schauer. Nicht einer von ihnen war ein normales menschliches Wesen. Jeder war verrenkt oder angeschwollen oder auf sonst eine Weise entstellt. Das Gelächter dieser sonderbaren Abnormitäten war schrecklich anzuhören.
Es schien, als spräche keiner Englisch, aber die Situation mußte geklärt werden, denn
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