Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
aber seine prächtige Krawatte, die glänzende Krawattennadel und die glitzernden Ringe wirkten aufdringlich. Als die Tür hinter ihm geschlossen war, schickte er wilde, unruhige Blicke in jede Richtung, wie einer, der überall eine Falle argwöhnt. Dann, als er den reglosen Kopf und den Kragen des Hausmantels über dem Armsessel am Fenster sah, zuckte er zusammen. Zuerst zeigte sein Gesicht nur reines Erstaunen. Dann erglomm in den dunklen mörderischen Augen das Licht einer grauenhaften Hoffnung. Er warf noch einen Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, daß es keine Zeugen gab, und danach, auf Zehenspitzen, den dicken Stock halb erhoben, näherte er sich der schweigenden Gestalt. Er krümmte sich zum Sprung vor dem entscheidenden Schlag, da grüßte ihn eine kalte, zynische Stimme von der Schlafzimmertür her:
»Zerbrechen Sie’s nicht, Graf! Zerbrechen Sie’s nicht!«
Der Mörder wankte rückwärts, in sein zuckendes Gesicht trat Staunen. Noch einmal hob er kurz den mit Blei gefüllten Stock, als wollte er den Angriff vom Abbild auf das Original wenden; aber da lag etwas in diesen steten grauen Augen und dem spöttischen Lächeln, das ihn bewog, die Hand sinken zu lassen.
»Ein so nettes kleines Ding«, sagte Holmes, indem er auf sein Ebenbild zuschritt. »Tavernier, der französische Bildhauer, hat es angefertigt. Er ist mit seinen Arbeiten in Wachs so gut wie Ihr Freund Straubenzee in Luftgewehren.«
»Luftgewehre, Sir, was meinen Sie damit?«
»Legen Sie Hut und Stock dort auf das Tischchen. Danke. Nehmen Sie Platz. Würden Sie vorsichtshalber auch Ihren Revolver herauslegen? Oh, wenn Sie es vorziehen, auf ihm zu sitzen, mir ist es gleich. Ihr Besuch kommt mir wirklich sehr gelegen, denn ich verspürte das dringende Verlangen, mit Ihnen ein paar Minuten zu plaudern.«
Der Graf blickte ihn unter schweren drohenden Augenbrauen finster an.
»Auch ich wollte ein paar Worte mit Ihnen sprechen, Holmes. Ebendarum bin ich hier. Ich leugne nicht, daß ich soeben die Absicht hatte, Sie anzugreifen.«
Holmes schwang seine Füße auf die Tischkante.
»Ich habe es mir fast gedacht, daß Ihnen so ein Gedanke im Kopf sitzt«, sagte er. »Aber wieso diese Aufmerksamkeit für meine Person?«
»Weil Sie es darauf abgesehen haben, mich zu belästigen. Weil Sie mir Ihre Kreaturen auf die Spur gesetzt haben.«
»Meine Kreaturen! Ich versichere Ihnen, nein!«
»Unsinn! Ich habe sie verfolgen lassen. Dieses Spiel kann man zu zweit spielen, Holmes.«
»Nur eine Kleinigkeit, Graf Sylvius: Vielleicht gestehen Sie mir, wenn Sie mit mir sprechen, freundlicherweise die Anrede ›Mister‹ zu. Sie werden verstehen, ich stünde sonst bei meiner Arbeit auf vertrautem Fuß mit der halben Unterwelt, und mir zustimmen, daß Ausnahmen den andern gegenüber boshaft wären.«
»Also dann: Mr. Holmes.«
»Hervorragend! Doch ich versichere Ihnen, daß Sie sich hinsichtlich meiner vermeintlichen Agenten im Irrtum befinden.«
Graf Sylvius lachte geringschätzig.
»Andere Leute sind ebenso gute Beobachter wie Sie. Gestern handelte es sich um einen alten Sportsmann. Heute war es eine ältere Dame. Sie behielt mich den ganzen Tag im Auge.«
»Wirklich, Sir, Sie schmeicheln mir. Der alte Baron Dowson äußerte am Abend, bevor man ihn hängte, daß in meinem Fall das Gesetz gewonnen habe, was die Bühne verlor. Und nun erhalte ich für meine kleinen Darbietungen Ihr freundliches Lob!«
»Sie waren das – Sie selbst?«
Holmes zuckte die Schultern. »Sie können da in der Ecke den Sonnenschirm sehen, den Sie mir in den Minories so höflich reichten, ehe Sie Verdacht schöpften.«
»Hätte ich das gewußt, hätten Sie niemals…«
»Ich habe dieses schlichte Heim wiedergesehen. Ich habe mich gut in acht genommen. Wir alle können vertane günstige Gelegenheiten beklagen. Wie es eben einmal so ist, erkannten Sie sie nicht, und da sind wir nun.«
Die buschigen Brauen über den drohenden Augen des Grafen zogen sich noch mehr zusammen. »Was Sie sagen, verschlimmert die Sache nur. Es waren nicht Ihre Agenten, sondern Ihr schauspie lerndes zudringliches Selbst. Sie geben zu, daß Sie mich beschattet haben. Warum?«
»Kommen Sie, Graf. Sie pflegten in Algerien Löwen zu schießen.«
»Nun?«
»Warum?«
»Warum? Der Sport – die Erregung – die Gefahr!«
»Und zweifellos, um das Land von einer Seuche zu
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